Schwäbisch Hall ist immer so ein Beispiel, das kommt, wenn von Erfolgen von Linux in der Verwaltung die Rede ist. c’t / Heise hat nun ein Interview mit dem IT-Leiter geführt. Fazit: Viel läuft gut, manches aber auch nicht.
Ich wurde auf dieses Interview aufmerksam gemacht, weil Linux und die öffentliche Verwaltung bekanntermaßen ein Thema ist, das mich sehr beschäftigt (z. B. hier, hier und hier). Schwäbisch Hall gehört da immer zu den Vorzeigebeispielen. Das Interview ist lesenswert (muss ich ja bei meiner häufigen Kritik an Heise mal so schreiben) und zeigt Stärken und Schwächen auf:
Die Migration ist grundsätzlich ein Erfolg, man ist schließlich bei Linux geblieben. Das ist als Punkt einfach festzuhalten. Ebenfalls teile ich die Erfahrung, dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der IT oft vom erlebbaren Support der IT-Abteilung abhängt und nicht von der Software. Allerdings gibt es eben auch viele handfeste Probleme: Die Produktivität ist tendenziell geringer, es gibt problematische Baustellen von Sicherheit über Office bis PDF-Bearbeitung und bei vielen Fachanwendungen ist Windows per RDP unersetzbar. Von einer völligen Abkehr von Windows kann man also nicht sprechen. Oft ist ein Problem fehlendes Verständnis bei Open Source Entwicklern im Bereich Linux-Desktop für Business-Anforderungen. Ein bundeseinheitlicher Behördendesktop wäre wohl der Weg zur Lösung, aber die Erfahrungen lassen Waack nicht besonders optimistisch auf den neuen Anlauf für einen Bundesclient blicken.
Stand heute, am 02. Mai 2022 hat der Artikel über 2000 Kommentare. Da gibt es natürlich die ganze Bandbreite an Meinungen. Erstaunlich finde ich nur wieder jene nicht gerade wenigen Kommentatoren, die Herrn Waack darüber belehren, was er alles nicht verstanden hat (z. B. hier) oder sich in Ausflüchte (z. B. hier) ergehen. Frei nach dem Motto: Es darf nicht sein, was nicht sein darf. Realitätsverweigerung für Fortgeschrittene. Allerdings ist das wenig überraschend, denn was soll man schon erwarten, wenn diese Menschen seit Jahren die Qualitätsberichterstattung im IT-Bereich lesen und ihnen dort quasi täglich und frei von Selbstzweifeln der Siegeszug von Linux erklärt wird.
Ich werde mich gerne an dieses Interview erinnern, wenn Schwäbisch Hall wieder als strahlendes Vorbild genannt wird. Freuen wir uns auf Schleswig-Holstein. Angeblich soll es da 2025 soweit sein, wobei „soweit wie möglich“ natürlich ein dehnbarer Begriff ist. Ich glaube es jedenfalls nicht und schon gar nicht bis 2025.
„Oft ist ein Problem fehlendes Verständnis bei Open Source Entwicklern im Bereich Linux-Desktop für Business-Anforderungen.“
Das sehe ich anders. Ich bin auch OS-Entwickler, nur weniger (gar nicht) für Linux und mehr für Windows. Ich habe den Artikel von heise auch gelesen und habe ebenfalls Kritikpunkte an den Herrn Waack. Nun weiß ich ja nicht was sie dort in SH so alles haben und was nicht, aber wenn es keine Verträge gibt, muss die Open Source Community gar nichts.
Meine Software ist Teils auf GitHub unter einer OS-Lizenz zu finden und jeder der möchte kann diese auch nutzen und nach seinem Sinne weiter entwickeln. Aber diese Software nutze ich meist nur für mich selbst und wenn ich keinen Vertrag habe, mache ich nichts für andere daran. Keine Features und keine Bugfixes. Muss ich nämlich nicht.
In dem Interview kommt das mehrmals so rüber, das die Open Source Community, eben „alles“ machen muss, was sie wollen. Aber ohne einen bindenden Vertrag, muss es eben gar nichts. Desweiteren muss der OS-Entwickler wohl einige rechtliche Hürden überwinden. Wie ich das verstanden habe, muss er min. ein Kleingewerbe betreiben um mit der Firma/Verwaltung überhaupt etwas eingehen zu können. Wir schon nicht jeder machen.
Es gibt Open Source Unternehmen die Erfahrung und Verständnis für Business-Anforderungen haben, würden bestimmt gern auch dem Herrn Waack helfen wollen. Fragt sich dann ob SH das aber bezahlen will. So meine Gedanken dazu.
Falls dazu wer einen Hintergrundartikelschreiben möchte, dann würde mich das sehr interessieren.
Ich bin ganz auf Gerrits Linie sofern wir erfahren könnte wie verbesserungen bei der OSS Gemeine eingefordert werden.
Supportverträge werden ja abgeschlossen. Aber es ist etwas anderes, eine Supportvertrag für eine Software abzuschließen, als die Entwicklung zu finanzieren. Dafür fehlt dann nicht nur das Geld, sondern auch das Know How und die Zeit, weil es ja nicht damit getan ist, einem Entwickler Geld rüber zuschieben, sondern die benötigte Funktionen müssen genau beschrieben, getestet und abgenommen werden. Das ist in vielen Fällen teurer als ein existierende kommerzielles Produkt zu lizensieren.
Dass es dann teurer wird, sehe ich genauso. Überhaupt ist es mir schwer vorstellbar, wie man mit Open Source Software Geld einsparen kann. Es dürfte das gleiche kosten wie auch die proprietäre Software. Selber Aufwand und die selben Kosten. Wo man bei Windows-Lizenz einspart, legt man wo anders bei Linux wieder drauf.
Dann wird dich bestimmt der Mittags-Talk zu „Linux-Arbeitsplatz für die öffentliche Verwaltung“ am 13. Mai 2022 interessieren: https://veranstaltungen.dataport.de/linux1studie/anmeldung