Wasser predigen, Wein trinken? – Mein Nutzungsverhalten 2023

Zum Jahresende gebe ich traditionell einen Einblick in mein Nutzungsverhalten. In Privatsphärekreisen wird oft über tolle Tools geschrieben, aber welche davon nutzt man eigentlich selbst? Leider geben zu wenige Experten regelmäßig Einblicke.

Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückblicke, sehe ich, wie sich meine Interessen allmählich verschieben. Datenschutz und Privatsphäre bleiben mir wichtig, aber andere Aspekte stehen nun im Vordergrund. Die langfristige Entwicklung von Linux bereitet mir Sorgen. Während SUSE kriselt und Red Hat sich teilweise zurückzieht, vermutlich wegen der höheren Wirtschaftlichkeitserwartungen von IBM, geht Canonical verstärkt eigene Wege und entfernt sich immer mehr vom Linux-Mainstream. Es gibt spannende Entwicklungen wie unveränderbare Distributionen und Flatpak sowie überfällige Entwicklungen im Sicherheitsbereich rund um TPM. Darüber habe ich viel geschrieben.

Hardware & Betriebssysteme

Die Hardware auf meinem Schreibtisch hat sich tatsächlich geändert. In einem Angebot habe ich ein Lenovo IdeaCentre erworben; Also ein All-in-One-System mit 27″ und ordentlich Leistung unter Haube (bzw. hinterm Bildschirm). Ich brauche immer seltener ein Notebook (diese Sesshaftigkeit ist wirklich eine Alterserscheinung) und muss ein bisschen auf meine Haltung am Schreibtisch achten (noch so eine Alterserscheinung). Mein HP EliteBook liegt deshalb viel ungenutzt im Regal. Ich bin tatsächlich am überlegen, ob ich es durch ein Pixel Tablet mit GrapheneOS ersetze. Dafür fehlt mir aktuell nur noch ein Tastatur-Cover als Zubehör.

Das EliteBook verwendet Fedora Kinoite, was ein großartiges System ist, aber ich denke, dass Fedora und unveränderbare Distributionen in Kombination nicht ihre Stärken ausspielen können. Fedora ist eine fast rollende Distribution und unterscheidet nicht zwischen Funktions- und Sicherheitsupdates. Um hier auf Nummer Sicher zu gehen, muss man praktisch täglich neu starten. Das IdeaCentre verwendet daher openSUSE Tumbleweed. Mein Herz hängt einfach am Gecko, das dürfte keine Überraschung sein. Ich verfolge die aktuellen Entwicklungen bei SUSE und openSUSE mit Besorgnis und hoffe auf ein positives Ergebnis.

Dieses Jahr habe ich KMyMoney als Ersatz für Moneyplex genutzt. Bei Moneyplex gab es in der Entwicklung Probleme und ich hatte Schwierigkeiten, den Umsatz auf einem hochauflösenden Display zu erkennen. KMyMoney ist jedoch komplizierter und ich nutze es nur für den Kontenabruf und zur Analyse. Überweisungen muss ich jetzt wieder direkt im Webinterface meiner Bank durchführen. Für viele Aufgaben konnte ich den Master PDF Editor durch das PDF Mix Tool ersetzen. Unverzichtbar ist SoftMaker Office auch in seiner neuesten Version 2024. Dennoch stellt es eine positive Entwicklung für Open Source auf meinem Desktop dar. Bei E-Mails, Kontakten und Terminen hat Thunderbird KDE-PIM abgelöst. Ich schätze die Stabilität und vergleichsweise Fehlerfreiheit sowie die neue Supernova-Oberfläche.

Ich nutze immer noch das Pixel 6 mit GrapheneOS als mobiles Gerät. Falls es nicht den Geist aufgibt, werde ich es auch im Bericht für 2024 erwähnen. Ich bin damit absolut zufrieden, da GrapheneOS ein ausgezeichnetes Android-Derivat ist und kürzlich einen beeindruckend schnellen Schritt auf Android 14 gemacht hat. Leider sind proprietäre Apps wie WhatsApp, DB Navigator und die Synology-Apps unverzichtbar.

Die Daten werden noch immer über das gleiche Synology NAS synchronisiert wie seit Jahren. Neuerdings nutze ich auch die Synology Photos App, mit der ich sehr zufrieden bin. Ich werde dabei bleiben, allerdings würde eine regelmäßigere Pflege der Basis meinem persönlichen Sicherheitsempfinden zuträglich sein.

Kommunikation

In diesem Bereich haben sich kontinuierlich positive Entwicklungen ergeben. Die Anzahl meiner Kontakte ohne WhatsApp-Account steigt stetig. Ein Großteil meiner Kommunikation findet nun über Signal statt, während Threema darunter besonders gelitten hat. Für mich hat Threema bis auf 2-3 Kontakte keine sonderlich große Bedeutung mehr.

Die E-Mail ist im privaten Bereich praktisch tot. Ich habe in diesem Jahr weniger als 100 E-Mails bekommen, und ein großer Teil davon betraf den erfolgreichen Abschluss meiner Promotion. Also eine nicht wirklich private Angelegenheit, die nächstes Jahr auch wegfallen wird. Verschlüsselte Nachrichten gingen privat nicht rein und raus. Beruflich habe ich aber tatsächlich einige mit S/MIME verschlüsselte Nachrichten erhalten. Das konsequente Mitschicken der Signatur hilft hier immerhin. Aber natürlich im Promillebereich, wenn ich das gegen die ca. 3.000 empfangenen und 2.500 versendeten Mails rechne. Aber von professioneller Nutzung soll hier ja nicht die Rede sein.

Mastodon hat sich bei mir etabliert. Auch in diesem Grenzbereich zwischen beruflicher und privater Nutzung. Meine Twitter-Blase ist allerdings nicht komplett gewechselt, was schade ist, da man nicht mehr alle Teile über das gleiche soziale Netzwerk erreichen kann. Zu Bluesky gehe ich trotzdem nicht. Das käme vom Regen in die Traufe.

Dienste

Der PIM-Bereich läuft immer noch auf meinem Synology NAS. Das ist weniger ein Problem. Was mich aktuell viel mehr beschäftigt, ist die Tatsache, dass mit der fortschreitenden Digitalisierung viele Dienste unumgänglich werden. Einer meiner Ärzte nutzt zum Beispiel zwingend den Dienst Doctolib, um Termine zu vereinbaren. Wenn ich dort anrufe, um das zu umgehen, trägt die Assistenz meinen Termin dort ein. Das bringt also auch nichts. Was soll ich also tun. Den Arzt wechseln? Gute Ärzte mit offenen Karteien gibt es nicht wie Sand am Meer. Solche Probleme häufen sich.

Beruflich spielt KI, konkret OpenAI, eine sehr große Rolle. Privat benutze ich es noch nicht und daher gehört es auch nicht zu den wirklichen Sünden.

Positiv aufgefallen ist mir in diesem Jahr der Bereich der Authentifizierung. Immer mehr Betreiber integrieren den elektronischen Personalausweis und sparen sich das alte PostIdent-Verfahren. Die AusweisApp ist natürlich Open Source und über F-Droid auch für Linux und Android verfügbar. Das ist eine sehr gute Entwicklung.

Sünden

Neben erzwungenen Diensten wie Doctolib oder quasi erzwungenen Apps wie dem DB Navigator ist hier vor allem WhatsApp zu nennen. Hier bin ich einfach nicht konsequent genug, um den Kommunikationskanal zu schließen. Im häuslichen Bereich sind es das SONOS Soundsystem und der LG TV mit webOS. Hier werden viele Daten übertragen und ich habe weder Zeit noch Lust, das mit pi-hole etc. zu blockieren. Nicht mehr ganz neu ist auch der Staubsaugerroboter, den ich nur über mein Test-Smartphone steuere, der aber natürlich auch Daten nach China sendet. Das ist wie so oft eine Abwägung.

Insgesamt wieder ein unspektakuläres Jahr für Privatsphäre und Datenschutz im persönlichen digitalen Alltag. Echte technologische Durchbrüche werden seltener.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Wie ist dieser Satz gemeint?

    „…aber ich denke, dass Fedora und unveränderbare Distributionen in Kombination nicht ihre Stärken ausspielen können.“

    • Fedora setzt auf Aktualität. Unveränderbare Distributionen bieten in Kombination mit Flatpaks in meinen Augen primär den Vorzug, aktuelle Anwendungen mit einer sicheren Basis zu kombinieren. Bei Fedora muss ich diese Basis quasi täglich aktualisieren, um auch alle Sicherheitsupdates mitzunehmen.

  2. Danke, wie jedes Jahr ein interessanter Bericht. Ich würde moneyplex nochmal probieren. Die Entwickler sind eifrig dabei, die nächste Version vorzubereiten und in den Einstellungen kann man alles mögliche zur Darstellung einstellen. Da müsstest Du eigentlich auch fündig werden.
    Ciao!

    Dieter

  3. Vielen Dank für den Interessanten Einblick, den ich schon seit ein paar Jahren verfolge. Mich interessiert die Nutzung von GrapheneOS, ein Smartphone wird ja heute immer mehr zentraler Punkt der Digitalisierung, kann man da auf ein Custom Rom setzten, da es doch immer zu Einschränkungen bei der Nutzung von Apps kommt? Ich würde auch gerne auf GrapheneOS wechseln, scheue aber diesen Schritt, da ich befürchte irgendwann von einem Dienst ausgeschlossen zu sein, leider wird ja nicht immer beides angeboten, also eine App für ein Smartphone und eine Webseite über die man einen Dienst am PC nutzen kann. Ein weitere Punkt ist, wie lange wird es für GrapheneOS Unterstützung geben? Gibt es eine Möglichkeit sich zu Informieren welche Apps unter GrapheneOs laufen?

    • Grundsätzlich kannst du alle Apps aus F-Droid nutzen. Das Angebot reicht für viele Zwecke und du kannst es über die Weboberfläche von F-Droid anschauen. Über z.B. Aurora lassen sich auch Apps aus dem Play Store installieren. Ob diese funktionieren hängt davon ab, wie stark sie mit den Play Services verbandelt sind. Meiner Erfahrung nach funktionieren viele Apps.

      GrapheneOS unterstützt Geräte grundsätzlich genau so lange wie Google. Danach gibt es nur noch eingeschränkten Support, weil viele Firmwarebestandteile nicht mehr gewartet werden können (konnte man beim Pixel 4 beobachten).

  4. Hallo, vielleicht gibt es für den DB-Navigator eine Alternative. Man kann in F-Droid das Repository von KDE einbinden. Dort gibt es die App KDE-Iterinary mit der man auch seine Tickets abrufen kann. LG Axel

  5. Find ich super, wenn jemand, der Open Source benutzt, auch mal zeigt, was wirklich zum Einsatz kommt! Mich interessiert es sehr, wie viel mehr Privatsphäre man wirklich durch die Nutzung von Open Source gewinnt, vor allem durch die Verwendung von GrapheneOS. Ist es nicht so, dass beim Surfen im Netz oder bei der Nutzung von Diensten genauso viele Daten entstehen wie bei der Verwendung eines kommerziellen Smartphone Betriebssystem? Wie sieht es aus, wenn man beispielsweise ein iPhone mit hauptsächlich Open Source-Apps verwendet? Fallen nicht im Grunde genommen die gleichen Daten an wie bei einem Custom-ROM-System? Klar, bei einem iOS-Gerät erfasst das Betriebssystem ein bisschen mehr Nutzungsdaten und übermittelt sie ggf. an den Hersteller, aber wenn man sich bei der Nutzung von Hersteller-Apps zurückhält, könnte man das doch weitgehend reduzieren, oder? Der Vorteil dabei ist, dass man nicht mit den Problemen von Apps zu kämpfen hat, die unter einem Custom-ROM nicht funktionieren.

    • Das ist meiner Ansicht nach der Knackpunkt. Primär sendet man wohl weniger Daten an den Entwickler des Systems und Hersteller der Hardware (bei Apple beides Apple, bei Android aber Google + Samsung/Xiaomi,Huawei etc.). Ansonsten dürfte sich nur wenig ändern, wenn man beim iPhone wirklich auf Open-Source-Apps oder als besonders datensparsam gewertete Apps setzt.

  6. Ich lese hier so oft über die Vorteile von OpenSource. Ja ich bin auch ein Fan davon. Aber seit doch mal ehrlich. Wer von euch überprüft wirklich den Code und noch schlimmer, wer von euch compliert selbst die SW? Denn: Man muss nicht nur dem Code vertrauen, sondern dem, der die SW erstellt und dann zum download anbietet.

    @Gerrit: Du bist bei deiner eigenen Nutzung wirklich viel zu inkonsequent 🙂 Hätte ich nicht erwartet.

    • Das ist – wie so oft im Leben – die schiere Hoffnung, dass irgendwer sonst es macht. Ich habe das hier im Blog ja schon oft kritisiert. Vor allem bei Nischensoftware.

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