Zwangsweise Entsperrung via Biometrie

Sicherheitsbewusste Nutzer sollten ein Urteil des Bundesgerichtshofs von März 2025 (2 StR 232/24) zur Kenntnis nehmen. Demnach dürften Ermittler den Finger eines Beschuldigten auf das Smartphone drücken, um die biometrische Sicherung aufzuheben.

In Deutschland galt bislang das Prinzip, dass eine Sicherung durch Verschlüsselung das Problem der Ermittlungsbehörden war und nicht des Beschuldigten. Wenn dem Beschuldigten sein Kennwort entfallen war, dann war es Aufgabe der Ermittler, die Geräte zu knacken. Bei moderner Verschlüsselung mit starken Passwörtern ist das jedoch ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Bei der biometrischen Sicherung mussten die Beschuldigten hingegen kooperieren, also aktiv mitwirken. Taten sie dies nicht, war wenig zu machen, außer eben die Geräte forensisch zu knacken. Diese Herangehensweise mag für die Ermittler frustrierend gewesen sein, aber aus Perspektive der Bürgerrechte war Deutschland hier gut aufgestellt und unterschied sich deutlich von den Standards in anderen Ländern, in denen beispielsweise bei der Einreise oder einer Kontrolle das Smartphone schon in der Vergangenheit schnell entsperrt werden musste oder einfach mal schnell der Finger drauf gedrückt wurde.

Dem ist nun nicht mehr so. Der BGH hat, wie ein Kommentar in „Beck Aktuell” festhält, die Büchse der Pandora geöffnet und es Ermittlern nun erlaubt, biometrische Sicherungsmaßnahmen zu umgehen, sofern sie den Besitzer gerade greifbar haben. Die Grenze zwischen passivem Erdulden durch den Beschuldigten und Anwendung von Zwang dürfte hier fließend sein. In der Vergangenheit mussten wir in Deutschland die Erfahrung machen, dass Ausnahmen und Erlaubnisse, die nur für einen eng begrenzten Zweck – beispielsweise bei Terrorismus oder Kindesmissbrauch – geschaffen wurden, schnell von den Sicherheitsbehörden auf andere Bereiche ausgedehnt wurden. Das dürfte also auch hier bald der Fall sein.

Bei aller berechtigten Kritik an biometrischen Sicherungsverfahren bin ich dennoch der Ansicht, dass sie insgesamt das Sicherheitsniveau in der Breite verbessert haben. Das war auch ein Lernprozess für mich, denn ursprünglich war ich hier auch sehr skeptisch. Aber im Gegensatz zu Dogmatikern, die realitätsfremd argumentieren, soll sich dieses Blog immer an echte Menschen mit echten Problemen und Anforderungen richten und keine theoretischen Szenarien durchdiskutieren. Das Beste ist hier wie so oft der Feind des Guten.

Glücklicherweise haben die Hersteller auf diese Herausforderung bereits reagiert, da autokratischere Staaten als Deutschland schon seit Längerem Gerätebesitzer zur Kooperation zwingen. Beim iPhone reicht es, die Seitentaste und eine der Lautstärketasten gemeinsam zu drücken, bis die Optionen „Notfallpass”, „Notruf” und „Ausschalten” erscheinen. Danach ist eine Entsperrung zwingend mit PIN erforderlich. Android-Geräte lassen sich in den Lockdown-Modus versetzen. Die Vorgehensweise unterscheidet sich je nach Modell und Android-Version ein wenig. Alle modernen Geräte erfordern zudem in regelmäßigen Abständen und bei längerer Nicht-Benutzung eine PIN-Eingabe.

Ob und wann man diese Optionen aktiviert, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich habe mir angewöhnt, bei Sicherheitskontrollen am Flughafen biometrische Verfahren zu deaktivieren. Andere mögen diese Option vielleicht in Erwägung ziehen, bevor sie an einer Demonstration teilnehmen. Ob man daran denkt, wenn die Polizei gerade die Tür eintritt, kann ich mangels Erfahrung – was hoffentlich so bleibt – nicht beurteilen. Smartphones enthalten heutzutage das ganze Leben. Ein gesundes Maß an Misstrauen ist hier angebracht.

Das BGH-Urteil ist dennoch kein Grund, die von biometrischen Sicherungsverfahren pauschal abzuraten. Das Beste ist eben der Feind des Guten.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Es bräuchte glaubhafte Abstreitbarkeit oder in den autokratischten Staaten wird der vermeintliche Regierungskritiker so lange gefoltert bis er sein wie auch immer gesperrtes und down gelocktes Smartphone entsperrt.

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