Die Corona Pandemie hat dem Thema Videokonferenzen neuen Schwung verliehen. Abgesagte Dienstreisen, zu kleine Konferenzräume und zu viele Mitarbeiter im Home Office machen es erforderlich. Gut vorbereitet war auf das Thema kaum jemand.
Videokonferenzen sind etwas komplett anderes als simple Videoanrufe. Ein Videogespräch zwischen zwei Personen oder auch kleinen Gruppen können viele Dienste heute bieten. Nahezu jeder Messenger hat das im Standardumfang, daneben gibt es noch die Platzhirsche Skype und FaceTime. Die Open Source Gemeinschaft ist hier dank WebRTC auch nicht schlecht aufgestellt. Es gibt sogar sehr datenschutzfreundliche dezentrale Lösungen (siehe: Jami). Eine Videokonferenz mit einer zwei- oder dreistelligen Teilnehmeranzahl erreicht eine ganz andere Dimension. Hier geht es sowohl um technische Leistungsfähigkeit und um Funktionen (Parallele Chats, ein Host mit Moderationsfunktionen etc. pp) und beides ist nicht trivial.
Das Thema Videokonferenz hat selbst die gut aufgestellten Anbieter wie Microsoft („Skype“) oder Google mit ihren integrierten Businesslösungen auf dem falschen Fuß erwischt. Umso mehr boomen nun Dienste wie Zoom, eine vor zwei Monaten noch weitestgehend unbekannte Firma, oder kleinere Dienstleister wie GoToMeeting.
Deutsche Firmen und Bildungseinrichtungen (die Universitäten müssen schließlich ein digitales Sommersemester organisieren) geben nun kurzfristig jeweils hunderttausende (insgesamt sogar sicherlich Millionen) Euro für Lizenzen aus. Putzig wirken angesichts dieser Dimensionen dagegen Zombiedebatten, wie das Verhältnis von München und Open Source.
Neben dem Kostenargument leiden auch Sicherheit und Datenschutz. Die plötzliche Popularität von Zoom wurde begleitet durch einen nicht enden wollenden Strom an Meldungen zu Defiziten bei Sicherheit und Datenschutz. Wie so oft bei US-Firmen hatte das Thema in der schnellen Wachstumsphase einfach keine zentrale Bedeutung. Mag das Thema bei universitärer Lehre, deren Inhalte ja ohnehin halb-öffentlich sind, noch ärgerlich aber vernachlässigbar sein, sieht das bei internen Besprechungen in der Wirtschaft ganz anders aus.
Befürworter von Open Source haben sich daher in den vergangenen Monaten für Jitsi Meet stark gemacht. Ich persönlich finde Jitsi Meet ein tolles Projekt und sehe dort ganz viel Potenzial aber wer ernsthaft mal versucht hat eine Konferenz mit 100 Teilnehmern über Jitsi Meet abzuwickeln dürfte vom Ist-Zustand eher enttäuscht sein. Selbst mit pixeligen Mini-Videos ist die Performance ein schwieriges Thema. Zudem funktioniert die Software nur über Google Chrome wirklich zuverlässig, was wiederum ein Datenschutzproblem ist.
Das Thema Videokonferenzen ist sicherlich technisch nicht ganz trivial und bis Anfang des Jahres spielte es für eine breitere Öffentlichkeit auch keine größere Rolle. Es wäre vermessen von der Open Source Gemeinschaft hier fertige Baukastenlösungen zu erwarten, die man nur noch ausrollen müsste. Die Krise zeigt daher eher Defizite und Entwicklungspotenziale auf.
Was man indes auf keinen Fall machen sollte ist die Herausforderungen bei Datenschutz und Sicherheit und den massiven Rückgriff auf proprietäre Dienstleister zu kritisieren und auf vermeintlich fertige Open Source Lösungen zu verweisen. Die gibt es schlicht nicht.