Debian wollte immer das System für alles und alle sein. Die vielen Architekturen und die umfassenden Paketquellen sind vielleicht das Alleinstellungsmerkmal dieser Distribution. Die Unfähigkeit zu Entscheidungen hat aber auch ihre Schattenseiten.
Debian ist jetzt keine Distribution, auf der mein Fokus liegt. Ich habe hier aber noch eine virtuelle Maschine mit einer ziemlich alten Installation, die ich kürzlich auf die nächste Stable-Version 11 „Bullseye“ aktualisiert habe. Da openSUSE für Tumbleweed zur Zeit den Abschluss des usrmerge ankündigt, habe ich das Thema auf dem Schirm und fragte mich, wieso mein Alt-Debian noch die klassische Struktur hat. Neue Debian-Installation hingegen den usrmerge bereits hinter sich haben. Hintergrundinformationen zum usrmerge allgemein kann man in diesem Artikel von Ferdinand Thommes nachlesen.
Die Ursache ist relativ einfach. Debian hat sich nach langwierigen Debatten zwar für den usrmerge entschieden. Allerdings konnte man sich wohl nicht gegen alle Widerstände durchsetzen und hat deshalb Bestandsnutzern die Wahl gelassen.
Die Verfahrensweise erinnert an eine andere Debian-Dauerbaustelle: systemd. Auch hier möchte die Mehrheit in eine Richtung, Upstream sowieso, aber eine Minderheit blockt und erzwingt das Festhalten an Alternativen.
Nun kann man sich denken: Alternativen sind doch toll, warum nicht Alternativen für alles anbieten? Die Pflege von Alternativen benötigt aber Ressourcen. Nun kostet Entwicklung und Bereitstellung immer Ressourcen, aber Kosten/Nutzen sollte in einem Verhältnis stehen.
Ressourcen sind bei Debian ein Problem. Der Debian-Projektleiter konstatierte vergangenes Jahr, dass über 900 Entwickler und über 200 Maintainer zu wenig seien, um Debian voranzubringen. In den Kommentaren auf LinuxNews wurde zu recht darauf verwiesen, dass eine Distribution wie Fedora mit weniger Entwicklern eine deutlich höhere Schlagzahl hinbekommt.
In der Linux-Community besteht immer noch der Irrglaube, dass alle möglichen Alternativen doch toll sind, wenn es Freiwillige anzieht, die diese bereitstellen und die sonst nirgendwo mitarbeiten müssen. Das ist meistens jedoch falsch. Alternativen fordern die gesamte Struktur. Den unvollständigen usrmerge und die Alternativen zu systemd muss jeder Maintainer bei Debian berücksichtigen, egal wie sinnvoll oder sinnlos er es findet.
Manchmal muss man alte Zöpfe abschneiden und darf sich nicht von einer lautstarken Minderheit irritieren lassen. Wie oben geschrieben: Ich habe auch noch ein Debian-System ohne usrmerge. Nicht weil ich es so wollte, sondern weil es einfach an mir und meinem System vorübergezogen ist.
Mich schrecken solche Probleme ab und sie sind ein Grund, warum Debian auf keiner physischen Hardware mehr läuft. Das Debian-Projekt beschäftigt sich meiner Meinung nach zu sehr mit der Befriedigung radikaler Minderheiten und ideologischen Grabenkämpfen als das Projekt insgesamt weiter zu bringen.
Dass KDE-Software zumindest in Teilen noch in halbwegs aktueller Version in die kommende stabile Version einziehen durfte, grenzte ja schon an ein Wunder. Viele der Applications aus KDE Gear sind aber noch Stand August 2020. Ein Problem, das nicht auf KDE beschränkt ist. Von einer wirklichen qualitativen Pflege der Software nach dem Freeze mal ganz zu schweigen. Das sind reale Probleme für Anwender und nicht die Frage ob mit systemd ein paar Graubärte nicht leben können oder der usrmerge irgendeiner Unix-Religion widerspricht.
Ich habe mich ja schon gefragt, ob Ubuntu nicht vielleicht überflüssig ist. Aber so gibt es wenigstens eine nutzbare Debian-basierte Distribution ohne übermäßigen ideologischen Ballast.
„Aber so gibt es wenigstens eine nutzbare Debian-basierte Distribution ohne übermäßigen ideologischen Ballast.“
Naja, in meinen Augen hat auch Ubuntu „ideologischen Balast“, wenn auch anderen als Debian. Man denke hier zum Beispiel nur mal an snap.
Nachtrag zu „tuxifreund“: Ergänzend muss man noch feststellen, daß Ubuntu immer mehr und mehr den kommerziellen Weg geht. Ob das wirklich so gut ist, darf bezweifelt werden. Dann doch schon lieber Debian.
Ich schätze deine provokante Art zu schreiben (die mir selbst nicht fremd ist), aber:
– Es ist nur blöd, dass an den Kritikpunkten der „Graubärte“ so viel dran ist!
– Wie viele Bugfixes hatten wir seit der Einführung von SystemD?
– Es sorgt nicht gerade für gute Laune zu lesen, dass eingereichte Fehlerberichte bei SystemD scheinbar geschlossen werden ohne die Fehler selber zu beheben. Und auch die Kommunikationskultur soll wohl zu wünschen übrig lassen (was für beide Seiten gilt).
https://forum.kuketz-blog.de/viewtopic.php?t=559
https://de.wikipedia.org/wiki/Systemd#Kritik
Ich sehe nicht die Aufgabe der Distributoren darin, diese Probleme gerade zu ziehen. Gelobt sei daher Devuan, die mit einem sicher kleineren Team inzwischen mehrere Init-Systeme integriert haben. Es geht also, wenn man nur will!
https://devuan.org/
Auch Gentoo kann das:
https://wiki.gentoo.org/wiki/Comparison_of_init_systems
Oder Slackware zeigt, dass man nicht diese SystemD-Doktrin befolgen muss:
http://www.slackware.com/config/init.php
Es gibt also immer Alternativen und es ist nicht nötig, dass man sich als Kritiker als „Graubart“ beschimpfen lassen muss. Nur weil man wenige ist heißt dies nicht, dass Kritik nicht berechtigt ist.
Ich werde hier keine Diskussion für/wider systemd führen. Devuan (das ohne die existierende Wahlmöglichkeit in Debian gar nicht existieren kann!), Gentoo und Slackware bestätigen meine Argumentation. Absolute Nischensysteme für Nischennutzergruppen. Ist das die Zielrichtung von Debian?
Für mich klingt eigentlich dieser Artikel ideologisch.
Wer Freiheit und Vielfalt befürwortet, kann auch mit Kompromissen und provisorischne Lösungen leben. Alle anderen sollten sich ihre Wünsche und Vorstellungen konzentrieren und denen folgen, die die gleichen haben.
Ich bin genau deshalb ein Freund von Debian. Da kann auch mal ein 10 Jahre alter Rechner im Hintergrund seine Dienste tun oder ein altes Skript erfüllt seinen Zweck. Und je mehr Rechner jemand hat, die genau das tun was sie tun sollen, umso größer das Bedürfnis nach einer Distribution, wo nicht jeder update ein neues Vabanquespiel ist ob alles danach noch läuft.
Ich verstehe nicht wie man diese Freiheit nicht positiv sieht und so negativ darstellt. Wem andere Aspekte wichtiger sind, hat doch durchaus die Wahl und ist nicht angewiesen auf Debian.
Wenn ein Projekt trotz hoher Zahl an Beitragenden offenkundig Probleme hat, dann muss das Problem woanders liegen. Alte Werkzeuge sind eine oft diskutierte Möglichkeit, zu viele zu berücksichtigende unterschiedliche Strukturen vielleicht aber auch.
Alternativen gibt es nicht zum Nulltarif