Die vergangenen 12 Monate waren bei Kubuntu geprägt von Krisen, Abgängen und strukturellen Veränderungen. Zeitweilig stellten viele Beobachter das Überleben des Projekts grundsätzlich infrage. Zumal mit KDE neon unter dem KDE-Dach ein direkter Konkurrent etabliert wurde. In den vergangenen Wochen gab es jedoch auch positive Entwicklungen und eine reguläre LTS-Veröffentlichung ist nun wieder sehr wahrscheinlich.
Linux auf dem Desktop stand immer vor dem Problem relativ kurzer Unterstützungszeiträume, vor allem gemessen an den bei Windows üblichen ca. 10 Jahren. Selbst das bei Linux-Nutzern als chronisch veraltet geltende Debian bot nur ca. 3 Jahre Support für seine jeweilige Distributionsversion. Apologeten ständiger Updates und rollender Distributionsmodelle unterschätzen einfach, dass ein Betriebssystem für viele Menschen lediglich ein Arbeitswerkzeug und kein Selbstzweck ist. Im Jahr 2016 hat das 2009 veröffentlichte Windows 7 immer noch einen Marktanteil von über 50% (siehe z.B. die Statistik von Netmarketshare) und das sind keineswegs nur Firmenkunden.
Entwicklungen und Krisen
Wenn Ubuntu mit einer Entwicklung wirklich den Linux-Desktop revolutionierte, dann mit der Etablierung einer kostenlosen Version mit Langzeitsupport im Jahr 2006. Seitdem haben andere Distributoren entweder kostenlose Ableger ihrer Firmenversionen etabliert oder Supportzeiträume ausgeweitet (eine Übersicht gibt es hier). In wenigen Wochen wird Ubuntu wieder eine neue Version seiner LTS-Distribution veröffentlichen.
Während im Hauptzweig mit dem Desktop Unity nur wenig Neuerungen in 16.04 „Xenial Xerus“ zu erwarten sind (Unity 8 verspätet sich mal wieder), die grundsätzliche Entwicklung aber nie infrage stand, war die Zukunft von Kubuntu lange Zeit fraglich. Nach der Ankündigung von KDE neon musste man sich fragen, ob Kubuntu überhaupt noch eine Zukunft haben würde. Obwohl Kubuntu bisher die Alpha- und Betameilensteine verpasste, gab es doch in den letzten Wochen positive Entwicklungen. Das stark geschrumpfte und komplett ehrenamtlich arbeitende Team hat die aktuellen Verisonen von KDE Plasma (5.5) und KDE Applications (15.12) in den Entwicklungszweig eingespeist und die zugrunde liegenden Frameworks auf 5.18 aktualisiert. Die Frühjahrsveröffentlichungen der KDE-Kompontenten werden möglicherweise für Kubuntu 16.04 zu spät erscheinen – genaueres ist dazu gerade nicht bekannt.
Ansonsten liefert Kubuntu eine Mischung aus modernen KF5-basierten Programmen und alten, auf den kdelibs4 beruhenden, Programmen wie DigiKam aus. Viele Programme wurden einfach immer noch nicht portiert oder haben Portierungen im Alpha- und Betastadium, weshalb es für eine LTS vernünftig ist auf die bewährten Versionen aus dem KDE SC 4-Zweig zu setzen. Die Softwareauswahl der LiveCD wurde im Vergleich zu 15.10 kaum verändert.
Im Gegensatz zur vorherigen Version 15.10 macht die kommende LTS einen deutlich stabileren Eindruck. Man kann also verhalten optimistisch sein, dass die aktuellen KDE-Veröffentlichungen reif genug für einen längerfristigen Einsatz sind.
Kubuntu vs. KDE neon
In diesem Frühjahr gibt es erstmalig zwei konkurrierende KDE-Distributionen mit einem Ubuntu-Unterbau: Kubuntu und KDE neon. Während Kubuntu weiterhin als Teil der Ubuntu-Familie entwickelt wird und das offizielle KDE-Derivat ist, erfolgt die Entwicklung von KDE neon unter dem Dach von KDE, durch einige ehemals führende Kubuntu-Entwickler.
Obwohl beide Distributionen auf 16.04 basieren werden gibt es grundlegende Unterschiede. Kubuntu wird eine Veröffentlichung gemäß den Ubuntu-Updaterichtlinen vornehmen. Dies bedeuten letztlich, das die Versionen für den gesamten Supportzeitraum stabil gehalten werden. Lediglich Sicherheitsupdates und eventuell einige Fehlerbehebungen werden nachgereicht.
KDE neon wird zwar auf Ubuntu basieren, aber alle KDE-Komponenten – sowie vermutlich auch die Basisbibliothek Qt – permanent aktualisieren und somit nah an der Hauptentwicklung bleiben. KDE neon ist damit im eigentlichen Sinne keine Distribution mit einem stabilen Entwicklungsmodell, sondern verfolgt ein halb-rollenden Updateprinzip. Es ist vermutlich am ehesten mit einer herkömmlichen Kubuntu-Installation mit aktiviertem Backports-PPA vergleichbar.
Zum aktuellen Zeitpunkt kann man davon ausgehen, dass beide Distributionen ihre Daseinsberechtigung haben. Kubuntu bedient weiter den stabilen Markt, während KDE neon diejenigen Anwender ansprechen wird, die zwar Ubuntu bevorzugen, aber nicht 2 Jahre auf neue Versionen warten möchten.
Zusammengefasst
Für KDE und insbesondere seine Anwender ist es äußerst wichtig, dass Kubuntu wieder eine LTS-Version herausgibt. KDE-Software ist bei vielen großen Distributionen seit Jahren in der Defensive, lediglich Klein- und Kleinstprojekte wie Chakra Linux oder KaOS setzen noch voll und ganz auf KDE. Mit der Etablierung von KDE neon hat man zudem wieder einmal die Distributoren vor den Kopf gestoßen – selbst wenn inzwischen alle um Schadensbegrenzung bemüht sind.
Linux hat nur mit stabilen Veröffentlichungen und langen Supportzeiträumen eine wirkliche Chance auf dem Desktop – alles andere ist eine Spielerei für Minderheiten. Ohne Kubuntu wäre KDE Plasma in keiner LTS-Distribution mehr prominent vertreten.
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob es trotz gestraffter Releasezeiträume und zusammengestrichener Supportperioden bei KDE für Distributoren noch möglich ist stabile Veröffentlichungen herauszugeben. Es ist möglicherweise die letzte Chance für Kubuntu – und KDE…