Visionen ersetzen keine Entwicklung

Das KDE Projekt geizte in den vergangenen Monaten nicht gerade mit visionäre Konzepten. Von den Mockups – also rein visuellen Entwürfen – der VDG (Visual Design Group) für verschiedenste Programme bis hin zu großen Entwürfen wie Programme auf per Skalierung auf verschiedensten Oberflächen funktionieren könnten. Um die Entwicklung zu beschleunigen wurden gleichzeitig die Releasezyklen gestrafft und die wenig visionären Fehlerbehebungsversionen zusammen gestrichen.

In der Realität waren die vergangenen Veröffentlichungen von KDE Plasma und den Applications von wenig Dynamik gekennzeichnet.

KDE Plasma

KDE Plasma hat im Dezember die fünfte Veröffentlichung des aktuellen Zyklus hinter sich gebracht. Es ist damit keine Neuentwicklung mehr, bei der man auf den unausgereiften Entwicklungsstand verweisen könnte.

Standardmäßig wird eine klassische Oberfläche, wie man sie von Windows vor der Version 8 kennt, ausgeliefert. Den Kern bildet eine Fensterleiste am unteren Rand des Bildschirms und ein Startmenü. Plasma ist natürlich wie bereits in Version 4 hochgradig flexibel und man kann theoretisch jedes mögliche Anwendungskonzept nachbauen, aber der Standard ist sehr konservativ.

Die hochgradige Flexibilität führt zudem dazu, dass nichts richtig liebevoll umgesetzt ist. KDE Plasma lässt sich zwar perfekt mit der Tastatur bedienen und KRunner ist ein mächtiges Werkzeug, aber das offenbart sich nur erfahrenen Anwendern. Neue Nutzer und Anwender mit Maus-Fokussierung bleiben auf Fensterleiste und Startmenü angewiesen.

Letzteres steht in drei Alternativen zur Verfügung. Zwei davon kennt man bereits aus KDE 3 und 4. Die permanente Entwicklung von Alternativen führt dazu, das keines davon richtig gut umgesetzt ist. Der neue Vollbildschirmstarter kann es nicht mit der GNOME-Shell aufnehmen, während die herkömmlichen beiden Menüs kaum Optimierung erfahren. Dies offenbart sich z.B. wenn man einige Programme aus der Applications-Veröffentlichung installiert. Die Programme tauchen im Menü immer mehrfach auf (z.B. unter Büro & Internet), wenn sich die Entwickler nicht entscheiden können wohin es gehört. Zudem finden sich im Menü viele Anwendungen, die man kaum aus selbigem starten würde. Dazu gehören viele Dienstprogramme für Kontact oder auch z.B. Ark, Durch die hohe Anzahl an Menüeinträgen ist weder das „Kickoff“ genannte Menü, noch die herkömmliche auf kaskadieren Aufklappmenüs basierende Variante sinnvoll nutzbar. Man könnte jetzt behaupten, dass dies ein grundsätzliches Problem solcher Menüs ist, aber sowohl elementaryOS (Pantheon Shell), als auch GNOME im „Classic Modus“ beweisen hier das Gegenteil mit aufgeräumten, sinnvoll nutzbaren Menüs.

Die Fensterleiste steht ebenso auch als Dock-ähnliche Variante nur mit Symbolen zur Verfügung – man kennt so etwas von Windows seit Version 7. Diese Variante kommt aber an kein echtes Dock heran, weder an die sonst unter Linux zur Verfügung stehenden, noch an die Symbolfensterleiste aus KDE SC 4. Eine Dockfensterleiste besteht nämlich aus mehr als nur großen Symbolen, es geht darum auch Informationen (z.B. ungelesene E-Mails) auf diesen Symbolen zu präsentieren. Auch hier wird durch das Verzetteln in Alternativen keine Entwicklungslinie sichtbar.

Das war zugegebenermaßen auch schon in KDE SC 4 ein Problem, aber hier hatte man am Anfang der Entwicklung wenigstens versucht mit Kickoff eine zeitgemäße (für das Jahr 2008) Alternative bereitzustellen, später kam die Symbolfensterleiste. Mit Plasma 5 ergehen sich die Entwickler zwar in revolutionären Zukunftskonzepten. In der Gegenwart bleiben die Anwender aber auf alten Lösungen sitzen. Reale Entwicklung findet kaum noch statt.

Dies kann man nicht zuletzt auch den Release Notes von Plasma 5.5 entnehmen. Es kamen ein paar neue Widgets hinzu, Fehler wurden behoben und ein bisschen am Design geschliffen. Rechtfertigt das nun rasante Veröffentlchungszyklen und das Benutzer stabiler Distributionen auf ihren Fehlern sitzen gelassen werden? Das meiste von diesen „Entwicklungen“ hätte man auch in einem Wartungsrelease unterbringen können.

KDE Applications

Wenig besser sieht die Lage bei den Applications aus. Mit der Auflösung der Software Compilation wurden die Applications zu einem, für den Anwender kaum zu überblickenden, Eintopf an Anwendungsprogrammen. Hier wird alles mit geschliffen, was es mal unter das KDE-Dach geschafft hat. Es ist vollkommen unklar welche Programme überhaupt noch aktiv entwickelt werden. Sichtbar wird das, wenn man sich anschaut wie viele Programme noch nicht auf KF5 portiert wurden. Darunter einige wirklich zentrale Bestandteile, die immer noch mit jeder Distribution ausgeliefert werden wie Okular (Dokumentenbetrachter) oder Konqueror (Schweizer Taschenmesser unter KDE).

Die Programme, deren Portierung bereits vollzogen wurden sind bestenfalls funktionale Kopien ihrer KDE SC 4-Äquivalente (z.B. Dolphin oder Dragon Player) und schlimmstenfalls fehlerbehafteter und funktionsärmer (z.B. Kontact). Im weiteren KDE-Umfeld ist noch quasi nichts auf KF5 portiert worden. Markante Beispiele wären hier Digikam, Krita/Calligra, Krusader, KmyMoney und Amarok.

Gegenbeispiele gibt es natürlich auch. Spectacle ist ein wirklich gutes neues Programm für Screenshots und ein erheblicher Fortschritt zu KSnapshot. Aber hier muss man ehrlicherweise betonen: Es geht um ein Programm für Bildschirmfotos. Das ist nett, aber dürfte kaum den Arbeitsalltag von tausenden Anwendern revolutionieren. Trotzdem natürlich danke dafür!

Selbstverstänndlich braucht die Portierung von Software Zeit, das war bei der Umstellung auf KDE 4 nichts anders, aber durch die Müllhalde namens Applications ist für den Anwender vollkommen unersichtlich was sich tut, abgesehen von neuen Versionsnummern alle paar Monate.

Gegenbeispiele?

Das es auch anders laufen kann hat GNOME bewiesen. Auch dort wurden radikale Zukunftskonzepte entworfen und die ersten Veröffentlichungen des aktuellen Releasezyklus waren eher ein GNOME 2 + Shell, aber nach und nach wurden die Visionen Wirklichkeit – zugegebenermaßen sehr zum Verdruss einiger Anwender.

Gleichzeitig hat man mit den so genannten Core-Apps (das sind die mit den blöden generischen Namen) eine Sammlung von Programme etabliert, bei denen sich der Anwender darauf verlassen kann, dass sie aktiv entwickelt werden und dem Konzept von GNOME entsprechen.

Fazit

Visionäre Konzepte und Ideen, die über das nächste Release hinausreichen, sind wichtig. Der Markt für konservative, am status quo orientierte, Desktopumgebungen ist unter Linux mit LXQt, Xfce und MATE wirklich gesättigt. Es ist aber auch wichtig, dass davon irgendetwas mal in reale Entwicklung umgesetzt wird und beim Anwender ankommt. So lange hier wenig passiert ist das neue KDE Plasma & Applications ein Neuaufguss der Software Compilation auf Basis neuerer Technologien, aber auch mit mehr Fehlern und weniger Stabilität.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.

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