Realitäten sind grau

Wenn es um proprietäre und freie Software (im öffentlichen Dienst) geht, wird gerne ein Schwarz-Weiß-Bild gezeichnet. Dort der böse proprietäre Monopolist, der immer die Preise erhöht, hier die bessere und günstigere freie Software. Die Realität ist aber nicht schwarz-weiß, sondern grau.

Denn wenn Regierungen die Förderung von Open Source oder gar ein striktes Open Source-Mandat in ihr Programm schreiben und durchzusetzen versuchen, stoßen sie auf komplexere Realitäten, als es die einseitige Verengung auf Microsoft vs. Linux vermuten lässt. Ein Beispiel:

Eine Behörde setzt seit vielen Jahren auf eine proprietäre Software. Diese funktioniert anerkanntermaßen recht gut und wird von einem kleinen Softwarehaus in Deutschland ständig weiterentwickelt. Die Software ist eine eierlegende Wollmilchsau. Das Lizenzmodell ist die früher durchaus übliche Kombination aus Lizenzerwerb und Servicevertrag. Durchaus keine billige Kombination, die Marge der Firma ist nicht bekannt. Die Software läuft auf Servern in den Behörden. Beim lokalen Betrieb sind einige Varianten möglich, aber man kann die Leitplanken der Firma nicht durchbrechen. Bei Problemen steht der Service der Firma zur Verfügung. Die Software unterstützt die einschlägigen Standards und offenen Schnittstellen, ist aber ansonsten natürlich nicht offen. Sollte die Firma eines Tages nicht mehr existieren, stünde die Behörde ziemlich im Regen, aber dank offener Schnittstellen könnten die Daten jederzeit exportiert werden. Natürlich mit den üblichen Reibungsverlusten einer Migration.

Für den gleichen Zweck gibt es eine Freie-Software-Suite. Diese ist historisch gewachsen und die Qualität auch entsprechend. Es gibt bessere und schlechtere Module und viele Behörden nutzen nur einige Module und verwenden für den Rest andere Software, die sich anbinden lässt. Aber das weiß man natürlich nur, weil man in den Code schauen kann. Die Entwicklung findet über einen Verein statt, in dem die Mitgliedschaft quasi Pflicht ist. Damit verbunden sind Mitgliedsbeiträge und eine verpflichtende finanzielle Beteiligung an der Weiterentwicklung. Das ist natürlich keine rechtliche Verpflichtung, aber ohne diese ist man in gewisser Weise von der Community und den Dienstleistern abgeschnitten. Da es sich um freie Software handelt, sind den Anpassungen kaum Grenzen gesetzt. Je mehr Anpassungen, desto höher natürlich der Wartungsaufwand. Aber auch der Basisbetrieb ist nicht trivial. Dies führt in vielen Verwaltungen, die diese Software einsetzen, zu einem massiven Einsatz von Dienstleistern für die Ersteinrichtung und größere Updates. Aus diesem Grund haben sich einige Dienstleistungsunternehmen auf Serviceangebote für diese Software spezialisiert. Teilweise haben diese noch Beratungsleistungen im Portfolio und helfen bei der Evaluierung und Ausschreibung der Dienstleistung auf die sie sich dann selbst bewerben. Ohne diese Dienstleister wären die Behörden nicht in der Lage, die Software langfristig zu betreiben.

Die Kosten für beide Systeme sind in etwa gleich. Im Einzelfall kann die eine oder andere Lösung günstiger sein. Bei der einen Software sind es Lizenzen und Wartungsvertrag, bei der anderen Dienstleister, Mitgliedsbeiträge und Weiterentwicklung. Hinzu kommen der Betrieb der Server in den Verwaltungen und deren Wartung durch Systemadministratoren. Eine Migration ist natürlich immer mit spezifischen Migrationskosten verbunden.

Eine Migration zwischen beiden Systemen ist in beide Richtungen möglich, aber extrem aufwändig und beeinträchtigt die tägliche Arbeit und die Gestaltungsmöglichkeiten der Behörde während der Migrationsphase.

Dies ist ein reales Beispiel. Ich behaupte, dass die meisten proprietären Lösungen in Behörden in diese Kategorie fallen und keine Microsoft-Apple-Google-Produkte sind. Solche Beispiele habe ich im Kopf, wenn ich über proprietäre Lösungen und Open-Source-Software im öffentlichen Dienst schreibe.

Ist es hier sinnvoll, von einem System auf das andere umzusteigen, nur weil eine Koalition sich freie Software in den Koalitionsvertrag geschrieben hat? Was hat der Kunde, der Bürger davon?

Die Realität ist eben grau.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Der CIO von Schleswig-Holstein hat ganz klar gesagt: Open Source ist für sie nicht günstiger, oft eher im Gegenteil. Sie können jedoch aktiver mitgestalten. Auch wenn das kostspielig ist, diese Freiheit ist es ihnen wert. Wobei es da um Groupware usw. nicht um domänenspezifische Speziallösungen. Was hat der Bürger davon? Eine Microsoft-Alternative, die auf einem staatlich subventionierten, festen Fundament steht. Die Realität ist eben grau.

  2. EIn Koalitionsvertrag hat eine zeitliche begrenzte Laufzeit und wer weiß was nach der nächsten Wahl festgeschrieben wird. Bis wir soweit sind das wir das umsetzen ist weht der Wind womöglich aus einer anderen Richtung.
    Untern Strick muss das Ergebnis stimmen, den Weg dahin kann ich bestimmen. Ich mach es einfach und schränke das mal auf proprietäre oder freie Software ein. Jeder der beiden Wege hat seine Art. Ich weiß was mich auf dem Weg erwartet. Sich nachher zu beklagen das der andere Weg schöner ist ist zu spät. DIe Möglichkeit hat man gehabt. Mir scheint nur das wir vor beschreiten des Weges die Augen verschließen und ein Münze werfen wohin wir gehen.

  3. Hab dank für deinen Artikel. Ich erkenne da auch gut die Realität an unserer kleinen Hochschule wieder. Leider ist meine Erfahrung bei kommerziellen Anbietern (ob groß oder klein) eben, dass sie sehr spärlich mit Informationen rausrücken, eben weil es öfters niemanden mehr gibt, der da technisch voll drin steckt. Eine Einarbeitung / Fehleranalyse & Beseitigung ist da durch außen oft nur schwer möglich und führt leider zu einer massiven Abgabe von Kompetenzen (Support für jede Kleinigkeit, kostenintensive Schulungen, …). Klar machen auch einige Vereine / KLMs das bei ihren OpenSource Projekten einen öfters nicht leicht, aber man hat aus meiner Erfahrung hier oft bessere Möglichkeiten anzudocken und wird dort oft weniger „absichtlich“ fern gehalten. Dort ist es öfters eher veraltete Doku oder Entwicklungsstandards, weshalb man nicht so schnell vorran kommt.

    Sein wir ehrlich, dem Endnutzer ist es egal und das darf es auch. Aber für die Architekten einer Systemlandschaft in der IT ist das Managen von Abhängigkeiten, Verlässlichkeit und Kosten natürlich wichtig. Und das ist eben oft nicht einfach und wie du geschrieben hast selten schwarz / weiß… 😉

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