Unklare Zukunft für Open Source in Schleswig-Holstein?

Nach LiMux war die Open Source-Strategie von Schleswig-Holstein der nächste große Hoffnungsträger für die FOSS-Community. Nicht zuletzt, weil der bisher zuständige Minister Jan Philipp Albrecht in der Netzgemeinde seit seiner Zeit im Europaparlament wohlgelitten ist. Die Zukunft ist nach Wahl und neuer Koalition aber mal wieder offen.

Ich hatte zu diesem und anderen vergleichbaren Projekten in der Vergangenheit ja sehr kritisch geäußert und bin dafür ziemlich hart angegangen worden. Der Einsatz von Open Source beim Staat ist bei vielen in der FOSS-Community ein unglaublich aufgeladenes und mit irrationalen Hoffnungen verbundenes Thema. Reale Probleme und Herausforderungen spielen da oft weniger eine Rolle als die abstrakte Hoffnung, dass durch den Einstieg des Staates der Gordische Knoten für Linux oder LibeOffice durchschlagen wird.

Wie Heise kürzlich berichtete, ist der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen deutlich unverbindlicher und die Zuständigkeit wandert vom grünen Umweltministerium in die CDU-Staatskanzlei. Im besten Fall bedeutet das weniger Ankündigungsminister und mehr praktische Arbeit. Im schlimmsten Fall verheddert sich das Projekt im Verwaltungsdickicht. Interessierte können sich die entsprechenden Passagen mal durchlesen. Vor allem im Abschnitt zu „digitaler Souveränität“ sind relevante Aussagen gebündelt. Der Vertrag beinhaltet zwar ein grundsätzliches Bekenntnis zu Open Source und Grundsätzen wie Public Money, Public Code aber lässt mit „Gleichwertigkeit“ von „gewohnter Funktionalität“ einige Hintertüren offen.

Niemand vermutet aktuell einen 180°-Schwenk im Stil von München, aber die Vorhaben und Zeitpläne waren bisher ziemlich ambitioniert. Wer nicht gerade mit eng sitzenden ideologischen Scheuklappen darauf schaute, fragte sich schon länger, wie diese Ziele so schnell erreicht werden sollten. Hier dürfte nun vermutlich etwas mehr Realismus einkehren.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Leider hat man bei Heise die Zeile 7327 des Koalitionsvertrags (geschickt?) gekürzt wiedergegeben. Der komplette Satz lautet: „Voraussetzung für die Nutzung und Akzeptanz eines flächendeckenden Einsatzes von Open Source-Produkten ist, dass die gewohnten Funktionalitäten mindestens in gleicher Qualität und kompatibel mit anderen Verfahren verlässlich funktionieren sowie verfügbar sind und dass
    bei Einführung ein umfassendes Veränderungsmanagement (Change Management) aufgesetzt wird.“
    Es geht also um die Akzeptanz der Open-Source-Software bei den Mitarbeitenden. Und die erreicht man am besten, wenn man mit Qualität überzeugen kann. Das ist manchmal gar nicht so einfach, da man die Qualität nicht erkennt. Ein Beispiel dafür sind die Formatvorlagen in LibreOffice. Wenn man in Word immer nur Schriftarten direkt einstellt, dann ist einem das Konzept der Formatvorlagen gar nicht vertraut und man kann sich über gute Formatvorlagen (im Landesdesign und mit Einstellungen für Barrierefreiheit) gar nicht freuen. Lobenswert ist, dass der Wechsel auf FOSS durch ein Veränderungsmanagement aktiv unterstützt werden soll. Wie man dem letzten Geschäftsverteilungsplan des MELUND https://transparenz.schleswig-holstein.de/collection/gvp-v/aktuell entnehmen kann, gibt es dafür sogar Personal.

    • Wie so vieles in solchen Verträgen kann man das in beide Richtungen lesen. Entweder als Aufgabe für ein gutes Change Management oder als Hintertür, um eine vollständige Abkehr von proprietären Produkten zu verhindern oder zu verzögern.

    • Wenn es der Verwaltung in den letzten 20 Jahren nicht gelungen ist, unter Word Formatvorlagen zu erstellen und zu benutzen, bezweifle ich, das es mit Libre Office nachhaltiger gelingen wird. Auf jeden Fall ist das kein Grund für einen Umstieg, man könnte auch ganz hervorragend Formatvorlagen in Word nutzen. Man wird sogar darin geschult, kommt nur bei der Leitung nicht an, dass heißt wer will kann sich selbst eigene Vorlagen erstellen und nutzen, bezüglich zentraler Vorgaben herrscht Fehlanzeige, und wenn der Chef sie in die Finger kriegt wird sowieso jede Vorlage ignoriert.

      Und zum GVP des MELUND, du musst nicht glauben, das es zu den ganzen da gennannten Aufgaben Personal gäbe. Das Referat V17 (Informationstechnik und Informationsmanagement) hat inklusive Leitung und Sekretärin ganze 18 Stellen, die nicht mal alle besetzt sind und für das gesamte Umweltresort inkluisve nachgeordnete Behörden und den IT Haushalt zuständig sind. Gesteigert Ahnung von IT Technik haben davon die wenigsten, Erfahrungen im Umstieg auf OSS niemand. Das Wort Veränderungsmanagment mag da in irgendwelchen Konzepten auftauchen, die externe Berater vorformuliert haben, stattfinden tut das nicht.

  2. Gleichwertigkeit und gewohnte Funktionalität/Qualität zu fordern, halte ich jetzt nicht für verkehrt. Dass im öffentlichen Dienst hinreichend qualifiziertes und motiviertes Personal sitzt, um so ein aufwendiges Projekt durchziehen kann und noch die Kollegen dabei mitnimmt, sehe ich ebenfalls nicht. Wenn es die Arbeit nicht erleichtert, sondern man nur umlernen muss, dann ist das für Staatsbedienstete nur eine weitere Reform, die man aussitzt bis zur Rente bzw. zum nächsten Regierungswechsel.

    • So ist es. Und es kommt dabei auch nicht darauf an, wieviel qualifiziertes personal theoretisch im öffentlichen Dienst verfügbar ist, da dieses gar nicht beteiligt ist und auch nicht eingebunden wird, Entscheidungen werden von Oben nach unten durchgereicht, das geht nicht nach Kompetenz. Und motiviert sind in der Regel die Berufsanfänger. Nach 5 Jahren in diesen Strukturen haben die entweder den Arbeitgeber gewechselt oder machen Dienst nach Vorschrift, da mitdenken nicht erwünscht ist.

  3. Mittlerweile lese ich deinen Blog kaum noch, weil er so viel polemisches enthält. Ich mach das mal deutlich:

    „Ich hatte zu diesem und anderen vergleichbaren Projekten in der Vergangenheit ja sehr kritisch geäußert und bin dafür ziemlich hart angegangen worden.“

    DU bist also „hart“ angegangen worden?
    (ich höre im Hintergrund die schreie der Menschen mit den Mistgabeln)

    „Der Einsatz von Open Source beim Staat ist bei vielen in der FOSS-Community ein unglaublich aufgeladenes und mit irrationalen Hoffnungen verbundenes Thema.“

    und die anderen sind „unglaublich aufgeladen“ und „irrational“?

    So kann an sich seine Welt basteln. Du bist das Opfer. Eine weniger polemische Sprache würde sicher helfen, dass du nicht mehr so „hart“ angegangen würdest (resp. die Kritik in der Sprache verfasst wird, die du anderen überwirfst).

    Das die angesprochene Diskussion sowieso mit „Scheuklappen“ geführt wird, ist in Anbetracht der Tatsache, das es auch um grosse Geldbeträge geht nicht verwunderlich. Erstaunlich ist es, wenn man diese nur einer Seite vorwirft, die häufig am wenigsten von diesen hat.

    In München gab es auch gerade eine politische Entscheidung zu dem Thema. Bei der Personalwahl des IT Referenten fiel die Entscheidung auch eher ideologisch als sachlich

    • Ich habe mich nicht beschwert über die harten Reaktionen. Ich habe lediglich festgestellt, dass es sie gab und mit diesem Artikel hier quasi ein „Haw haw“ im Nelson Muntz-Stil hinterhergeschoben. Ich finde es eher belustigend, dass ich von vielen als Vertreter proprietärer Software gesehen werde, weil ich mir etwas Realismus bei solchen Projekten wünsche. Das sagt mehr über die Kommentatoren als über mich.

      Wenn man übrigens richtig liest und nicht verkürzt, versteht man vieles vielleicht anders. Kleines Beispiel: Den Halbsatz mit „und mit irrationalen Hoffnungen verbundenes Thema“ auf „irrational“ zu verkürzen hilft nicht unbedingt beim Verständnis.

  4. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, das es bisher an dem zitierten Change Mangement zu 100% mangelt und dass es für die Einführungen von funktional Gleichwertigen alternativen nötig wäre, die bisherigen Funktionen und deren Nutzung zu kennen, was im sogenannten Digitalisierungsministerium definitiv nicht der Fall war und in der Staatskanzelei ganz sicher nicht besser wird, zumal sich am Personal durch den Wechsel nicht viel ändern wird.

    Inzwischen bete ich gradezu, das noch Schlupflöcher gefunden werden, um die Ablösung von proprietären Lösungen durch zusammengestümperten Müll zu verhindern, bin aber recht pessimistisch, was das angehet. Realistischer ist wohl, das man den Umstieg durchzieht, koste es was es wolle, um dann in ein paar Jahren wieder zurückzurudern.

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