Windows-Nutzer müssen sich nur Fragen, ob sie Windows 7 oder Windows 10 nutzen wollen, bei Apple nimmt man die letzte verfügbare Version für die eigene Hardware. Linux-Nutzer können sich hingegen aus einem schier grenzenlosen Pool an möglichen Distributionen bedienen. Zu den knapp 50 relevanten Varianten kommen noch hunderte Projekte für spezielle Zielgruppen und kleine Nutzerkreise. Doch welche soll man wählen?
Die Aufforderungen einen solchen Artikel zu schreiben erhielt ich kürzlich von Mark. Nicht ganz falsch, bestanden meine letzten Äußerungen doch vor allem aus Kritik an Ubuntu oder der Distributionslandschaft allgemein. Empfehlungen für Linux-Distributionen zu verfassen, gleicht dem Vorhaben im Minenfeld ein Topfschlagen zu organisieren. Egal was man schreibt, viele Kommentatoren haben eine andere Meinung. Daher war hier bisher nichts dergleichen zu lesen, aber man kann nicht immer nur kritisieren, sondern muss auch mal eine Variante empfehlen.
Eben genau diese Empfehlung einer Variante ist allerdings unmöglich, da sich die Linux-Distributionen in zwei vollkommen unterschiedliche Bereiche ausdifferenziert haben. Es gibt Projekte, die einem fortlaufenden Entwicklungsmodell verpflichtet sind und keine festen Veröffentlichungen herausgegeben (“Rolling Release”) und solche, die nach mehr oder minder starren Veröffentlichungs- und Stabilitätskriterien klassische Betriebssysteme mit fixiertem Funktionsumfang veröffentlichen. Es muss daher mindestens zwei Empfehlungen geben.
Rolling Release
Dieses Modell erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Einerseits kommt es der zunehmend agilen Entwicklungsweise vieler Upstream-Projekte entgegen und andererseits reduziert es den Wartungsaufwand für die Distributoren, da sie nicht aufwändig Fehlerbehebungen und Sicherheitsaktualisierungen für die enthaltenen Versionsstände zurück portieren müssen.
Trotzdem ist die Empfehlung in diesem Bereich sehr einfach: Arch Linux. Keine andere Distribution folgt diesem Modell zu kompromisslos und liefert quasi nicht angepasste Upstream-Pakete aus. Die für ein fortlaufendes Veröffentlichungsmodell optimierten Prozesse sorgen für rasche Aktualisierungen und schnelle Reaktion bei Paketierungsfehlern.
Natürlich kann man argumentieren, dass die Lernkurve bei Arch Linux sehr steil ist und man immer noch verhältnismäßig viel von Hand konfigurieren muss. Nutzer von Rolling Release Distributionen werden jedoch immer wieder mit neuen Fehlern konfrontiert, da neue Upstream-Veröffentlichungen zwangsläufig auch mal neue Fehler enthalten. Wer nicht bereit ist sich mit den Komponenten einer Linux-Distribution, ihren grundlegenden Funktionsweisen und Fehlerquellen zu beschäftigen, ist bei diesem Veröffentlichungskonzept grundsätzlich falsch aufgehoben.
Stabile Veröffentlichungen (LTS)
Wenn man sich für eine stabile Veröffentlichung entscheidet, sollte diese auch einen langen Supportzeitraum unterstützen. Vor einigen Jahren gab es noch viele Distributionen mit knappen Supportzeiträumen von 9-18 Monaten. Diese Zielgruppe hat jedoch fast vollständig auf ein fortlaufendes Entwicklungsmodell gewechselt, da es das schlechteste aus beiden Welten vereinte. Die Notwendigkeit großer Upgrades mit den Nachteilen kaum getestete Programmversionen.
Distributionen mit langen Supportzeiträumen von mehr als 3 Jahren gibt es gar nicht so viele (siehe auch: Übersicht der LTS-Distributionen). Hierzu werden nämlich nicht unerhebliche Ressourcen benötigt, weshalb nur Unternehmen und große Communityprojekte dies leisten können.
Die Entscheidung Für und Wider eine spezifische Distribution sollte man auf dem Desktop von der gewünschten Arbeitsumgebung abhängig machen. Die qualitative und quantitative Unterstützung der Desktopumgebungen unterscheidet sich hier nämlich ganz erheblich. Daher gibt es in diesem Bereich zwei Empfehlungen.
Anwender mit einer Präferenz für GNOME sollten zu Red Hat Enterprise Linux (RHEL) oder dessen Klon CentOS greifen. Keine andere Distribution bietet eine gleichwertig gute Unterstützung dieser Desktopumgebung und pflegt die Versionen über 10 Jahre in einem gleichen Maße. Der enthaltene Paketumfang ist zwar relativ klein, aber kann man semi-offiziellen Quellen wie EPEL aufgebessert werden.
Desktopnutzer, die KDE Plasma bevorzugen können eigentlich nur noch zu openSUSE Leap greifen. Keine andere LTS-Distribution hat KDE Plasma als Standarddesktop oder wählt die Version gleichsam sorgfältig aus und pflegt diese so nachhaltig über den Supportzeitraum hinweg.
Anwender von kleineren Desktopumgebungen wie MATE, Xfce und LXQt sollten ebenso openSUSE Leap wählen. Ubuntu ist aufgrund der erratischen Veröffentlichungspolitik und den zahllosen Problemen mit der Qualität, Paketverwaltung und den Eigenentwicklungen eigentlich nicht mehr wählbar und Debian erstickt am eigenen Regelwerk und ideologischen Vorbehalten zu lasten der Nutzbarkeit und der Paketauswahl.
Jenseits des Tellerrandes
Eine dritte Empfehlung kann ich mir nicht verkneifen. Wer es sich zutraut das Linux-Universum zu verlassen, sollte mal einen Blick auf FreeBSD werfen. BSD ist bei weitem nicht mehr so unbenutzbar, wie vor einigen Jahren. Die Hardwareunterstützung ist viel besser und die Softwareauswahl über die PKG-Paketverwaltung durchaus akzeptabel.
FreeBSD ist quasi der Maßstab für Stabilität. Hier treibt man nicht mit dem Release eine neue Sau durchs Dorf, wechselt das Initsystem oder implementiert ein neues Backend für die Netzwerkverwaltung. Der Preis dafür ist ein häufigerer Rückgriff auf händische Konfiguration, aber wer mit Arch Linux arbeiten kann, kommt auf mit FreeBSD klar.
Die organisatorische Trennung von integriertem Basissystem und Desktopumgebung, sowie Endanwenderprogrammen fördert zudem neue Programmversionen im nicht-kritischen Bereich, während an der Basis nur zaghafte Veränderungen erfolgen.
Bilder:
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