Desktopumgebungen – Spaltungen, Wiederbelebungen und Schuldige

Spaltungen gehören zu Open Source Software. sie liegen in der Natur des zugänglichen Quellcodes und der freien Lizenzierung. Befürworter sehen in dieser Vielfalt das Potenzial. Kritiker sehen massive Ressourcenverschwendung und Unübersichtlichkeit. In jedem Fall nimmt die Anzahl der Projekte zu, während die Zahl der Entwickler nicht in gleichem Maße mit wächst.

Sehr gut beobachten lässt sich das an den Desktopumgebungen.

Stand 2018 kann man 11 aktuell noch gepflegte Desktopumgebungen zählen. Unity ist bereits abgekündigt, weshalb vermutlich 10 Desktopumgebungen übrig bleiben (sofern die Unity 8-Community nicht ein Wunder bewirkt). Nicht berücksichtigt sind dabei die zahllosen Windowmanager, die je nach Funktionsumfang bereits an kleinere Desktopumgebungen wie LXDE heranreichen können.

Es handelt sich dabei um folgende Umgebungen:

Die aufgezählten Erscheinungsjahre zeigen bereits, dass Linux über sehr lange Zeit mit lediglich drei Desktopumgebungen auskam. Diese erfüllten unterschiedliche Bedürfnisse, insbesondere im Bereich der notwendigen Ressourcen, bzw. spiegelten unterschiedliche Ansichten über die notwendige Freiheit der Lizenzierung. Seit 2011 ist die Zahl der Desktopumgebungen hingegen explodiert, ob die Abkündigung von Unity da einen gegenläufigen Trend einleitet bleibt abzuwarten. Lediglich die angekündigte Verschmelzung von LXDE und RazorQT zu LXQt schien den Dschungel zeitweilig zu lichten, bevor man entschied LXDE auf unbestimmte Zeit weiter zu pflegen. Der Zustand von LXQt verrät nebenbei viel über die Entwicklerstärke dieser Nischenprojekte.

Die Katastrophe in dieser Entwicklung ist zweifelsohne die GNOME Shell. Ihre Veröffentlichung 2011 leitete unmittelbar eine Reihe an Abspaltungen ein. Unity und Cinnamon sind die offensichtlichsten Folgen, aber die Wiederbelebungen von GNOME 2 als MATE gehört da ebenfalls zu. Mittelbar eigentlich auch solche Projekte wie Budgie, das ähnlich wie Unity mit GNOME-Unterbau aber einer anderen Desktopumgebung arbeitet. Etwas anders gelagert ist dies bei eOS, das bereits zu GNOME 2-Zeiten begann und bei dem es müßig ist zu diskutieren, ob die Entwicklung ohne Shell anders verlaufen wäre.

Das viel gescholtene KDE Plasma hat trotz aller Umbrüche nur eine halbseidene Abspaltung erlebt. Trinity ist dabei kein wirklicher Erfolg, da man sich nie von der KDE 3.5 Codebasis emanzipieren konnte und kaum Verbreitung gefunden hat.

Möglicherweise zeigt dies auch eine der Ursachen für die rapide ansteigende Abspaltungsanzahl. Projekte werden immer mehr von ideologischen Hardlinern geführt, die ihr Konzept gegen jeden Widerstand durchdrücken wollen. Widerspruch oder abweichende Meinungen sind im rauen Umgangston nicht mehr möglich. Je weniger Widerspruch man dann noch zu hören bekommt, desto mehr verrennt man sich in seinem Weg. Entwicklergemeinschaften mit verhältnismäßig offener Bedienphilosophie wie KDE können da deutlich mehr widersprüchliche Projekte unter dem eigenen Dach zusammen führen oder parallel existieren lassen.

Natürlich gibt es Anwender, die mit der GNOME Shell sehr gut arbeiten können. Es gibt ja auch Leute, die mit einer minimalistischen WM arbeiten. GNOME war aber zeitweilig fast „die“ Desktopumgebung für Linux. Massenware muss Kompromisse eingehen und auf Anwender zugehen. GNOME ist zwar immer noch weit verbreitet, insbesondere im LTS-Bereich (RHEL, Ubuntu, SLE) aber dies liegt vor allem am LTS-Support von Red Hat, den die anderen Distributoren gerne mitnehmen. In die anderen Projekte müsste man zu viel Geld und Entwicklerzeit für die Pflege stecken, als das es sich bei dem kleinen Markt lohnen würde.


Bilder:
Einleitungs- und Beitragsbild von 200degrees via pixabay 

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