Open Source fördern – Realistisch bleiben

Symbolbild "Werbung"

Digitalisierung ist seit Jahren in aller Munde. Die Pandemie hat aus Schlagworten in Sonntagsreden dann endlich Taten folgen lassen. Wieder einmal geht es dabei um die Herausforderung, quelloffene und freie Lösungen zu etablieren und nicht blind der Marketing-Maschinerie der großen IT-Konzerne zu folgen.

Vom Bildungssektor über die staatliche Verwaltung – Digitalisierung ist endlich in der Gegenwart angekommen. Nicht mehr nur als Übertragung analoger Arbeitsschritte in digitale Pendants – vom Papier zum Computer gewissermaßen – sondern durch Nutzung der Chancen und Möglichkeiten solcher Veränderungen. Homoffice, Homeschooling und hybride Modelle machen es endgültig notwendig. Der Versuch vieler Behörden, den Publikumsverkehr zu reduzieren, kommt da noch hinzu.

Bei der Umsetzung der Digitalisierung sollten quelloffene und freie Lösungen im Fokus stehen. Die Forderung ist oft zu hören, wird offensiv von entsprechenden Interessenvertretungen propagiert und ist absolut legitim. Wenn der Staat selbst etwas entwickelt / entwickeln lässt, sollte das ebenso der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden, wie auch Open Source bei gleichwertigen Angeboten immer bevorzugt werden sollte. Die Art und Weise, wie der Staat hier beispielsweise die deutsche Corona Tracing App transparent und offen entwickeln ließ, ist absolut vorbildlich. Das ist nicht das einzige Leuchtturmprojekt, sondern der Einsatz von Nextcloud durch den Bund fällt ebenfalls in diese Kategorie. Denn hier wird nicht nur auf quelloffene Software zurückgegriffen, sondern die maßgebliche Entwicklerfirma mit einem Auftrag bedacht und dadurch langfristig in der Weiterentwicklung unterstützt. Die Berücksichtigung von Open Source Angeboten und Bevorzugung solcher Lösungen bei Ausschreibungen ist leider immer noch keine Selbstverständlichkeit und das kann nicht oft genug kritisiert werden. Entsprechende Initiativen wie in Schleswig-Holstein oder nun auch wieder München sind daher begrüßenswert. Diese Grundsätze sind in Fachkreisen eigentlich eine Selbstverständlichkeit und mir sind keine validen Gegenargumente bekannt.

Nur sollte man dabei nicht über das Ziel hinaus schießen. Bei Gleichwertigkeit die quelloffene Lösung bevorzugen und gleichzeitig langfristig an einer Ablösung der proprietären Software zu arbeiten, ist absolut richtig. Gleichsam ist die Abhängigkeit der Regierung von einem einzigen IT-Konzern hochgradig bedenklich. Problematisch wird es, wenn Open Source Lösungen in allen Bereich als absolut gleichwertig propagiert werden. In einigen Bereichen ist es das sicherlich richtig, in anderen eher nicht. Da muss ganz stark auf die Anforderungen und Möglichkeiten schauen. Realistisch ist daher eher ein Mischbetrieb, denn eine reine OSS-Umgebung.

Hier läuft man Gefahr, die Fehler der Linux Community von circa 2005 zu wiederholen. Damals kursierten Nachrichten, nach denen Linux vermeintlich etabliert sei oder Behörden angeblich verstärkt auf Open Source setzen würden. Der Sprung auf die Firmen-Desktops stünde gar kurz bevor. Dahinter stand der Stolz auf die Entwicklungserfolge bei Linux, aber wir kennen die Geschichte – es war mehr Hoffnung, denn Realität. In der realen Welt war Linux halt noch nicht so weit und viele Pilotprojekte scheiterten. Spektakulär waren dabei Wienux und LiMux, die beide bezeichnenderweise 2005/2006 an den Start gingen. Diese Misserfolge könnte man zwar als unvermeidbar verbuchen, aber es ging auch viel Vertrauen verloren. Durch die wahrgenommene Diskrepanz aus Versprechen und Realität und entsprechende Praxiserfahrungen verfestigte sich die Ansicht “Linux sei halt doch noch nicht reif für den Desktop” für viele Jahre.

Genau das gilt es zu vermeiden. Werbung für Open Source ist sinnvoll, gleichwertige Projekte zu empfehlen auch, die Forderung nach mehr Förderung ebenfalls verständlich und perspektivisch sinnvoll um Lücken zu schließen. Schwächen negieren oder weg zu diskutieren bringt aber nichts, denn die Anwender merken dies schnell. Plakativ formuliert: Zu behaupten XMPP könnte Teams & Co ersetzen hilft niemandem. Nextcloud könnte OneDrive ersetzen ist hingegen realistisch.


Bilder:

Einleitungs- und Beitragsbild von Megan_Rexazin via pixabay

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.

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