Kommentar: Red Hat macht Ernst

Red Hat schränkt den Zugang zum Quellcode ein, erschwert damit den Bau freier Klone und plötzlich fallen in der Linux-Community alle aus den Wolken. Der viel gepriesene Unterschied von Freiheit und Freibier gilt wohl nicht für IBM. Hier messen viele mit zweierlei Maß.

Red Hat trägt seit Jahren den Löwenanteil der Linux-Entwicklung. Sowohl im Serverbereich als auch beim (GNOME) Desktop. Es gibt nur wenige Firmen, die so viele Projekte sponsern, Entwickler finanzieren und wichtige Innovationen vorantreiben wie Red Hat. Das ist einfach eine Tatsache und diesen Zustand habe ich hier in der Vergangenheit beschrieben und vor den Risiken für das Linux-Ökosystem habe ich schon häufiger gewarnt.

Diese Problematik wurde immer gerne mit dem Dreiklang Freiheit, Quellcode und Debian beantwortet. Eine Illusion, in die sich viele nur allzu gerne geflüchtet haben. Freiheit bzw. freier Quellcode ist eben eine dehnbare Sache. Die meisten sind sich aktuell einig, dass Red Hats Vorgehen keinen Verstoß gegen Lizenzbedingungen darstellt. Quellcode muss eben nicht auf dem Silbertablett serviert werden. Wie immer werden nun Community-Distributionen nach vorne geschoben. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Bei Debian ist man seit jeher primär damit beschäftigt, sich selbst zu verwalten und kommt trotz LTS nicht mal in die Nähe der Enterprise-Supportzeiträume von 10 Jahren. Massive Innovationen oder auch nur kleinere Entwicklungsschübe kamen zudem schon lange nicht mehr aus solchen Community-Projekten – wenn es sie denn überhaupt gegeben hat. Freiheit, Quellcode und Debian ersetzen eben kein RHEL. Enterprise-Support und Enterprise-Qualität bekommt man auch nur bei den kostenpflichtigen Enterprise-Distributionen. Und natürlich bei den freien Klonen.

Genau diese Illusion – Enterprise-Qualität für lau durch Klone – ist nun geplatzt. SUSE hat seinen SLE-Code nie so auf dem Silbertablett serviert wie Red Hat, weshalb es keine freien SLE-Klone gibt. Red Hat hat nun beschlossen, dass sie auch nicht länger Lust haben, die ganze Entwicklungsarbeit zu leisten, nur damit dann Oracle, Rocky und Alma Enterprisedistributionen ausliefern können. Die Resonanz auf diesen Schritt war in der Linux-Community gewaltig. Heise, Golem, LWN, Kofler – nur um eine kleine Auswahl zu präsentieren. Besonders erheiternd fand ich die Serie bei Linuxnews (Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3 – to be continued?). In den Kommentaren und in Social Media ging es deutlich unflätiger zur Sache. Wenn die Empörung echt ist und nicht nur eine getarnte Werbeveranstaltung für die eigene Lieblingsdistribution, dann sagt das mehr über die Autoren als über die Sache aus. Der Eintritt in den Orbit des Planeten Realität muss für manche wirklich schmerzhaft sein. Als die Klone sich auf Scientific Linux (spezielle Zielgruppe) und CentOS (RHEL-Anhängsel mit Verzögerungen bei den Versionssprüngen) beschränkten, konnte Red Hat das noch ignorieren. Das nicht geht nicht mehr seitdem Oracle, Alma und Rocky Geschäftsmodelle auf der ausschließlichen Arbeit von Red Hat etablieren. Ich frage mich ernsthaft, wen das überraschen kann. Bei vielen Autoren vermute ich vor allem den Namen IBM als Triebfeder für die überzogene Kritik. Kapitalismuskritik ist in Deutschland im Allgemeinen und in der Open-Source-Community im Besonderen gern gesehen.

Denn wenn man sich die Fakten anschaut, gibt es wenig Überraschendes. Mike McGrath geht in seinem neuen Blogpost auch darauf ein und erläutert die Gründe für den Schritt von Red Hat. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Red Hat sehr viel Geld in die Arbeitszeit von Entwicklern investiert, um diese Qualität zu liefern – das ist, glaube ich, unbestritten. In einem gesunden Open-Source-Ökosystem arbeiten alle Wettbewerber gemeinsam an der Software. McGrath erwähnt explizit SUSE, Canonical, AWS und Microsoft. Ja, die letzten beiden werden einigen wieder stinken, aber das ist die Realität.

Was McGrath „Rebuilder“ nennt, gehört nicht dazu. Die schnappen sich die Arbeit von Red Hat und verkaufen sie weiter. Nirgendwo steht Oracle, aber ich glaube, die sind vor allem gemeint. Es geht nicht um drei Server im Keller, sondern um richtig große Firmen als Kunden, die Enterprise-Qualität haben wollen, ohne dafür entsprechend bezahlen zu müssen. Darum ist die Anhebung der Freilizenzen für Entwickler folgerichtig, weil damit Privatleute und Semiprofis (warum verwenden die eigentlich Red Hat?) weiterhin kostenlos RHEL nutzen dürfen. Wer mehr als 240 Lizenzen einer Enterprise-Distribution benötigt kann doch wirklich dafür bezahlen. Wenn das zuviel verlangt ist, dann ist die Open-Source-Community wirklich nie über die Freibiermentalität hinaus gekommen und dann hat McGrath recht, wenn er die Gefährdung des gesamten Geschäftsmodells rund um Open Source skizziert.

Auch wenn Michael Kofler sich über den Begriff „parasitär“ geärgert hat, finde ich, dass das ein valider Punkt von Red Hat ist. Nicht Red Hat gefährdet den Geist von Open Source, sondern diejenigen, die ihr Geschäftsmodell ausschließlich (!) auf der Arbeit anderer aufbauen und nichts zurückgeben. Dies hat in der Vergangenheit schon einige Unternehmen dazu bewogen, ihre Open-Source-Ambitionen aufzugeben. Ob Red Hat oder die entsprechende Sparte bei IBM derzeit Gewinne macht oder nicht, ist dabei völlig unerheblich.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Das Gemecker aus Sicht der Privat- und Hobbynutzer wird umso alberner, wenn man bedenkt, das jedermensch mit Fedora und CentOS Stream immernoch zwei(!) Upstream-Versionen ohne jegliche Hindernisse zugänglich sind.

  2. Kleiner Reminder: Auch Red Hat profitiert von der Arbeit Anderer (wir erinnern uns an einen gewissen Herrn Torvalds?)
    Und dass die „Schmarotzer“ nur profitieren und nichts zurückgeben, stimmt einfach nicht. Alma hat ein sehr intensives Verhältnis zu Red Hat und einen regen Austausch. Da fließt ne Menge zurück und das ist keine Senke..
    Ich habe mal auf einem Linuxtag die Ehre gehabt, einem CentOS Entwickler (vor der Assimilation) zuhören zu dürfen, der den Buildprozess beschrieb. Das ist ein Haufen Arbeit und da kann von Schmarotzen keine Rede sein.
    Im Übrigen: CentOS bestand auch nicht immer als Einheit von Red Hat, die haben nur mit ihrem A… voll Geld einfach den Laden übernommen und profitieren nun durchaus von der Arbeit Anderer. Sich jetzt hinzustellen und zu behaupten, dass alles auf deren eigenem Mist wächst, ist zumindest scheinheilig.
    Es geht, wie immer, um Macht und Marktanteile. SuSE und Canonical sollen Stücke vom Kuchen weg genommen werden. Nichts anderes steckt da dahinter und da muss man kein verquerer Nerd sein, um die Motivation zu durchschauen. Bisher ist man auch ohne Paywall mit satten Gewinnen nach Hause gegangen, jetzt muss Mal wieder gewachsen werden, damit der Aktionär keine dummen Fragen stellt. Die großen Innovationen sehe ich auch bei Red Hat nicht. Die entstehen bei kleinen Projekten, fernab von großen Distros.

    • Doch, es ist ein Unterschied, ob ich Open-Source-Software nehme und eine Distribution baue oder ob ich die SRPMs von Red Hat nehme und die Distribution nachbaue und dann Supportverträge dafür abschließe. Wenn das alle in größerem Umfang machen, bricht das komplette Geschäft rund um Open-Source-Software zusammen.

      • Stimmt und stimmt auch nicht. Supportverträge, nehmen wir beispielsweise AlmaLinux stellt nicht AlmaLinux zur Verfügung, sondern andere Firmen. Teilweise auch ohne Bezug zu OpenSource im herkömmlichen Sinne. Rein aus technischer Sicht stellt sich jetzt die Frage, was war zuerst da. Das Ei oder das Huhn? Hier ist die Antwort das EI. Nehmen wir beispielsweise mal RedHat Ansible, Openshift etc. Alles ist aus Communityprojekten gewonnen. Aber durch RedHat weiterentwickelt worden. Auch Alma Linux entwickelt sein Betriebssystem weiter, baut aber auf RedHat auf. RedHat baut auf Fedora Core auf. Fedora Core hat seine Ursprünge mal irgendwann gehabt. Wenn wir den Kreis weiter und weiter gehen, liegt das Anrecht einzig und allein an der Community und den Entwicklern des aller ersten Linux/Unix Systems. okd usw. Ich kann nicht Community-Projekte aufnehmen, weiterentwickeln und ghleichzeitig dann vertreiben, wenn es der nächste nicht auch darf. Außerdem sind wir mal ehrlich, es geht hier doch nicht mal ums Geld, sondern um Macht.

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