Zersplitterung – Wie sich Linux mobil ins Abseits stellt

  1. Linux-Distributionen – Welche Bedeutung haben sie in Zukunft?
  2. Zersplitterung – Wie sich Linux mobil ins Abseits stellt
  3. Linux-Distributionen – Überholte Infrastruktur?

Vielfalt und eine Welt der Alternativen. Das war Linux schon immer und viele Befürworter dieser monströsen Vielfalt in der kleinen Nische sehen darin einen Grund für die Qualität von Linux. Vielfalt fördert schließlich Wettbewerb.

Vielfalt ein Mehrwert?

Ich verrate hier kein Geheimnis, wenn ich schreibe, dass ich dies eher kritisch sehe. Vielfalt in einer kleinen Nische bei begrenzten Ressourcen fördert halt auch viele Doppelentwicklungen, die dann alle qualitativ auf niedrigem Niveau stecken bleiben.

Vielfalt macht aber manchmal auch Sinn. Die Wünsche und Anforderungen eines Xfce-Nutzers und eines GNOME-Nutzers lassen sich nicht verbinden. Es ist hier für alle Seiten sinnvoller, zwei getrennte Projekte mit getrennten Schwerpunkten anzubieten.

Zudem gibt es natürlich auch prominente Gegenbeispiele. LibreOffice und vorher OpenOffice.org hatten nie viel Konkurrenz und sind trotzdem keine herausragenden Office-Suiten geworden. Eine Monopolstellung führt somit automatisch zu einem Mehrwert.

Gewisse Dualismen haben inzwischen auch so viel Tradition, dass eine Zusammenführung wohl die Entwickler- und Anwendercommunity zerstören würde.

Die Vielfalt hatte auch nie diese kritische Bedeutung. Es war vor allem Folklore für eingefleischte Linux-Enthusiasten. Ein GTK-Programm mag mit einem KDE Plasma Desktop nicht so schön aussehen, ist aber trotzdem funktionsfähig. Ein Programm wie Dolphin lässt sich natürlich auch unter jedem anderen Desktop nutzen. Puristen mögen über die vielen Abhängigkeiten jammern, aber das sind streng genommen nur Befindlichkeiten. Linux auf dem Desktop ist daher die Gesamtheit der verfügbaren Programme. Nahezu alles lässt sich zusammen betreiben. Und viele Laien tun auch sehr erfolgreich genau das.

Der kapitale Fehler ist nun aber, diese tradierten Gegensätze in die mobile Welt zu übertragen. Denn hier klappt die Zusammenarbeit nicht.

Braucht es ein mobiles Linux?

Dabei bräuchte es dringend eine ernst zu nehmende mobile Variante von Linux. Smartphones sind technisch gesehen perfekte Überwachungswerkzeuge. Sie sind die größte gegenwärtig existierende Bedrohung für unsere digitale Integrität. Open Source ist nicht per se besser, aber nur eine freie Entwicklergemeinschaft kann ein hemmungsloses Ausschlachten dieses Überwachungspotenzials im Sinne eines maßlosen Datenkapitalismus glaubwürdig verhindern.

Mancher mag jetzt einwerfen, dass Android doch schon eine mobile Variante von Linux sei, aber dem ist nicht so. Android ist gewissermaßen ein Symbol für die Gefahren, denen Open Source als Idee gegenwärtig ausgesetzt wird. Denn diese Idee wird auf die Lizenz reduziert und in Form eines Open Core bereitgestellt. Eine Entwicklung, die auch andernorts zunehmend beobachtet werden kann. Die Entwicklung hängt vollständig von einer Firma – in diesem Fall Google – ab, es gibt immer größere proprietäre Bestandteile und Google könnte jederzeit den Hahn zu drehen. Android ist nur eine Brückentechnologie. Es ist die Perversion eines freien Systems.

Linux müsste schon deshalb den Sprung in die mobile Welt schaffen, um nicht abgehängt zu werden. Dem PC wird zwar schon lange das Ende vorausgesagt, aber die Systeme werden zunehmend konvergenter. Microsoft Surface, WIndows on ARM, nun macOS mit ARM-Prozessoren. Ein auf den klassischen Desktop festgenageltes System könnte hier sehr bald abgehängt sein.

So dringend es ein wirklich freies System für mobile Endgeräte braucht. Dieses System wäre mittelfristig in einer Super-Nische verortet. Linux befindet sich ja schon auf dem Desktop in einer Minderheitenposition, aber diese Nische ist je nach Messung wenigstens einige Millionen Geräte stark. Ubuntu postulierte hier lange Zeit die Zahl von 20 Millionen Installation. Zum Vergleich: Die größte freie Custom ROM, LineageOS, erhebt über seine Statistik bisher lediglich knapp 3 Millionen Geräte. Das ist gemessen am Gesamtmarkt in Prozenten gar nicht mehr darstellbar, selbst wenn man nur die Android-Geräte betrachtet. Das Potenzial eines freien Linux Mobilsystems wäre mittelfristig vermutlich noch mal niedriger zu verorten.

Zersplittert in der Nische

In dieser winzigen Nische ergeht sich die Community dann auch noch in tradierten Abgrenzungen. Die Distributionen versuchen einzeln den Sprung auf mobile Endgeräte. KDE und GNOME entwickeln in Konkurrenz komplette mobile Oberflächen mit eigenen Bedienphilosophien. Ubuntu Touch gibt es natürlich auch noch, wo Distribution und Oberfläche quasi untrennbar verbunden sind. Nicht frei, aber dennoch eine Linux-Variante ist Sailfish OS – ebenfalls mit komplett eigener Oberfläche und Apps.

Der freie F-Droid Store für Android, der eine nahezu vollständige Sammlung verbreiteter Open Source Software für Android darstellt, kommt gerade mal auf ein paar Tausend Apps. Davon zahllose ungepflegte Leichen. Das Angebot reicht je nach Anforderungsprofil gerade mal, um die notwendigsten Bereiche der Smartphone-Nutzung abzubilden.

Wie möchte die Linux-Community hier jemals etwas erreichen, wenn sie ihre Ressourcen und ihr Potenzial auch noch durch Vier teilt? Eigentlich sogar durch Fünf, wenn man die freie Entwicklergemeinschaft um Android auch noch berücksichtigt.

Natürlich gibt es Kooperationen an der Basis, wenn es um basale Hardware-Unterstützung geht, aber das ist nicht neu. Auf dem Desktop gibt es auch nur einen Kernel, nur einen Grafikstack – hier hat sich die Entwickler-Community noch nie ihr System der ausufernden Alternativen etabliert.

App-Zentrierung

Dabei sollte doch die vielen Fehlschläge der Vergangenheit zeigen, wie wichtig heute Apps sind und welche Macht die gut gefüllten Stores von Apple und Google bieten. Der Begriff App-Ökonomie beschreibt hier ein ganzes System aus Kundenbindung und Gewinnmaximierung.

Es sind schon deutlich potentere Kandidaten angetreten, um das Duopol aus Android und iOS aufzubrechen oder sich zumindest daneben zu behaupten. Microsoft, BlackBerry, Nokia – die Liste der Gescheiterten ist lang. Nur Durchhaltewille, hartnäckige Partner und Geschlossenheit können einem da über die Jahre helfen. Das sieht man z. B. bei Jolla.

Das Betriebssystem selbst hat nur noch wenig Bedeutung. Google vergibt für seine neuen Android-Versionen nicht mal mehr Namen. Die jährlichen Neuerungen bei iOS und Android sind meist eher im homöopathischen Bereich. Wirkliche Entwicklung geschieht bei den Endgeräten und bei den Apps.

Der Grund sind hier auch die vielfältigen Abhängigkeiten. Mit welchem Programm ich am Desktop einen Text schreibe und ausdrucke, meine E-Mails abrufe oder meine Dateien verwalte, ist im Zweifelsfall allen anderen egal. Interoperabilität beschränkt sich hier fast immer auf Dateiaustausch. Beim Smartphone ist das anders. Habe ich kein Signal, kann ich viele Leute nicht erreichen, habe ich keine Banking-App, muss ich im schlimmsten Fall die Bank wechseln, habe ich keinen DB Navigator kann ich spontan an vielen Bahnhöfen keine Tickets mehr kaufen.

Wie will man hier mit 4 bis 5 nicht vollständig interoperablen App-Ökosystemen konkurrenzfähig sein?

Scheitern mit Ansage

Es gibt Gründe, warum Linux auf dem Desktop so strukturiert ist, wie wir es heute kennen. Sie basieren im Wesentlichen auf infrastrukturelle Rahmenbedingungen rund um die Jahrtausendwende. Software-Distribution war in einer Welt ohne schnelles Internet ein Problem, Anforderungen am Desktop unterschieden sich stark, Lizenzfragen waren nicht abschließend geklärt. Einmal geschaffene Infrastrukturen haben eine hohe Beharrungskraft, initiale Entscheidungen weisen weit in die Zukunft, zumal wenn sich die Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern.

Wenn aber eine Gemeinschaft die Strukturen der Vergangenheit in die Zukunft trägt, unfähig über ihren Schatten zu springen und den neuen Anforderungen Rechnung zu tragen, dann scheitert sie. Wenn sie den einmal geschaffenen Strukturen mehr Bedeutung beimisst als den Veränderungen um sie herum, dann entsteht Infrastruktur, um der Infrastruktur willen.

Das Jahr des Linux-Desktops war immer wieder für einen Lacher gut. Das Jahr des Linux-Smartphones ist so absurd, dass es noch nicht mal mehr für einen Lacher taugt. Linux ist auf dem Smartphone gescheitert, bevor es überhaupt ernsthaft angetreten ist.

Es ist gescheitert an den speziellen Hardware-Problemen im mobilen Segment, übermächtigen Akteuren und an sich selbst. Wenn es hier noch einen Aufbruch geben sollte, dann durch eine jetzt noch nicht abzusehende Entwicklung. Die bestehenden Projekte taugen dazu nicht.

Der Anwender muss leben mit dem, was da ist: iOS, Custom ROMs und Googles Android – sozusagen Pest, Cholera und Krebs. Für den Schutz der digitalen Privatsphäre und den Datenschutz ist das ein strukturelles und anhaltendes Problem.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Hi,

    schöner Artikel.

    Ich denke auch, dass es endlich einen App-Standard geben müsste. Wobei ich natürlich sehe, warum Apple und Google das überhaupt nicht wollen. Aber wenigstens für alle Alternativen einen Standard, dann kann sich das so stark zersplittern, wie es will – vorausgesetzt ein Mindeststandard wird mit den großen Alternativen erreicht.

    Grüße Thoys

  2. Ich denke das hier keine Besserung und Änderung zu erwarten ist. Stattdessen müsste aus dem jetzigen Zustand ein echter Visionär herauskommen und die Leute mit seiner Idee packen und mitnehmen. Dann könnte es wieder werden. Die jetzigen Communitys können weiter bestehen und trotzdem etwas neues wachsen. Die Community wird aber keine klassische Linux-Community mehr sein.

  3. Leider ist es so: Es bräuchte ein namenhaftes Unternehmen, das ordentlich Geld in die Hand nimmt und auf einem Gerät mit guter Hardware Linux anbietet. Und das zu einem anständigen Preis.
    Aber dies ist mit Aufwand verbunden, und der kostet.
    Demgegenüber steht das Risiko, auf die Nase zu fallen weil kaum einer das Produkt kaufen will.
    So gern ich ein Smartphone mit Linux und der vollständigen Kontrolle über Hard- und Software hätte – ich bin Realist und sehe da keinen Silberstreif am Horizont.

  4. Tut mir leid, aber der Abgesang auf Linux ist, denke ich, fehl am Platz.

    Mit KDE Plasma Mobile ist ein schöner Desktop für mögliche Linuxhandies geschaffen worden, auch Gnome 3.38 war/ist ein nutzbarer und cooler Phonetop. Leider kann man das von Gnome 40 nicht sagen, der defakto in die falsche Richtung geht, am Desktop genauso wie am Handy.

    Purism’s Phosh als derzeit defakto Standard, der aber elementare Probleme nur langsam löst und bei einigen UI Entscheidungen noch 5 Jahre Andrioid nachholen muß, ist tatsächlich nutzbar, aber stützt z.z. leider zu oft ab.

    Das es keinen Linux-Smartphonemarkt gibt, auf den sich als Firma stürzen könnte, bedeutet ja nicht, daß hier nichts zu gewinnen gäbe. Es wird aber noch eine Weile dauern, bis ein Linux Smartphone auch nur halbwegs konkurrenzfähig wird, weil einfach noch die Grundlagen fehlen. Auch macht es der Linux mainkernel den Handies nicht leichter, weil die nötigen energiesparenden Task-Scheduler fehlen.
    Allerdings geht die Entwicklung rasend schnell voran.

    Seit Sep 2020, als die Bravehearthphase vom Pinephone zuende ging und die ersten Community Editions auf den Mark kamen, haben sich die Zugriffzahlen und die gelösten Probleme verzigfacht. Ich habe mit einem Smartphone ohne Telefon, mit SMS, ohne Cams, ohne Video, ohne HWBeschleunigung, mit WLAN, ohne Taschenlampe, ohne Rotation, ohne brauchbare Skalierung, ohne Kompass, ohne Lagekontrolle und ohne Chatapp angefangen. 5 Monate später, kann man Telefonieren, SMS, GPS, WLAn, MobileNetz, Kompass, Kameras, Bildschirmrotation, Taschenlampe nutzen, ruckfrei FHD Video schauen und sogar Video-Chats führen.

    Möglich wurde das, weil sich alle untereinander geholfen und angestachelt haben.

    Und von wievielen ich schon gehört habe, daß sie Ihre verwanzten Iphones und Androids weg haben wollen, sollte man auch nicht unterschätzen. Das Pinephone ist nicht der Heilsbringer, es ist nur der Urvater oder Prototype eines Linux basierten Smartphones, da darf man sich nichts vor machen, aber ist die Büchse erstmal auf und die Grundlagenarbeit erledigt, dann könnten auch teurere konkurrenzfähige Geräte mit besserer Hardware auf den dann entstehenden Mark kommen.

    • „Es wird aber noch eine Weile dauern, bis ein Linux Smartphone auch nur halbwegs konkurrenzfähig wird, weil einfach noch die Grundlagen fehlen.“
      Über 10 Jahre nach dem Aufkommen des Gerätetyps ist das schon eine Ansage. Zumal sich hier ja bereits Experimente in Richtung Weiterentwicklung abzeichnen. Dualscreen etc. Wann soll denn Linux mal soweit sein?

      Wenn etwas nicht gut läuft, kann man sich schon mal fragen, ob es strukturelle Probleme gibt.

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