Linux verfügt nicht nur über eine Desktopumgebung wie Windows und macOS, sondern bietet dem Anwender mehrere zur Auswahl. Ubuntu bildet diese Vielfalt in Form so genannter Derivate ab, bei anderen Distributionen gibt es keine formelle Trennung. Die Derivate bei Ubuntu sind die bereits etablierten Kubuntu, Xubuntu und Lubuntu, sowie die beiden relativen Neuzugänge Ubuntu MATE und Ubuntu Budgie.
Für den Anwender bedeutet das neben den Vorzügen der absoluten Wahlfreiheit, leider auch die Notwendigkeit sich für ein Derivat zu entscheiden. Lediglich in speziellen Nutzungsfällen macht die parallele Nutzung mehrere Desktopumgebungen wirklich Sinn.
Die meisten langjährigen Linux-Anwender haben ihre Lieblingsdesktopumgebung. Wer neu im Umgang mit Linux ist muss hier jedoch anfänglich eine Entscheidung treffen. Bei den meisten Distributionen lassen sich unterschiedliche Desktopumgebungen in der Installationsroutine wählen. Bei Ubuntu gibt es so genannte Derivate, die jeweils eine Desktopumgebung, sowie zugehörige Software ausliefern und als Subprojekt von Ubuntu organisiert sind.
Ubuntu / GNOME
Die Hauptvariante der Distribution liefert ab Version 17.10 wieder GNOME als Standard aus. Lediglich kleine Anpassungen an die Unity-Vergangenheit schwingen noch mit, wie das eigene Design und das ständig präsente Dock an der linken Seite.
Für die Hauptvariante spricht der offizielle Support im Main-Bereich der Distribution und die relativ stimmige Gesamtumsetzung des Derivats.
Gegen GNOME spricht in vielen Fällen der Fokus auf die Tastaturnutzung. Die GNOME Shell lässt sich zwar auch mit der Maus bedienen, aber sowohl der Programmstarter, wie auch die Aktivitätenübersicht ist mehr auf Tastaturbedienung ausgelegt. Insbesondere der Programmstarter wirkt durch fehlende Kategorien schnell unübersichtlich. Die starke funktionale Reduktion hat zudem definitiv ihren Zenit überschritten und wird durch die GNOME-Entwickler inzwischen schon zwanghaft betrieben. In Abwägungen scheint die Streichung einer Funktion immer erst eimal positiv vorbelegt zu sein und muss erst durch Argumente verhindert werden, anstatt anders herum.
Diiese Kritikpunkte lassen sich zwar mittels Addons beheben, damit holt man sich aber im Fall von Aktualisierungen oder Entwicklungsbrüchen unabsehbare Probleme ins Haus.
Zusammengefasst:
+ Ubuntu Main Support
+ Stimmiges Gesamtkonzept
+ Mäßig ansprechendes Design
– Präferenz auf Tastatureingabe
– Bedienkonzept weicht von allen anderen Desktops ab
– Übertriebener Reduktionismus
– Unübersichtliche Programmpräsentation
Kubuntu / KDE Plasma
Kubuntu ist historisch gesehen das erste Derivat und durch den zeitweiligen offiziellen Status auch noch immer recht hervorgehoben. Nach einer sehr unruhigen Phase rund um den Release von 16.04 hat das Projekt sich auch wieder gefangen und liefert wieder funktionsfähige Versionen aus.
KDE Plasma bietet ein stimmiges Gesamtpaket und die an Windows 7 angelehnte Bedienung erleichtert vielen den Umstieg. Einige Programme wie z.B. der Dateimanager Dolphin gehören sicherlich zu den besten im Linux-Ökosystem.
Die Unterstützung ist jedoch in den letzten Jahren zweifelhaft geworden. Bedingt durch die geringe Berücksichtigung der Interessen von LTS-Distributionen durch das KDE-Projekt und die geringe Kubuntu-Entwicklerzahl bleiben viele Probleme ungelöst und selbst sicherheitsrelevante Lücken bekommen nicht die notwendige Beachtung. Viele native Programme wie KMail kämpfen zudem seit Jahren mit Stabilitätsproblemen. Die weitere Entwicklung der Oberfläche (Stichwort Kirigami) ist zudem stark im Fluss, weshalb man nicht absehen kann, wo KDE Plasma in wenigen Jahren steht.
Zusammengefasst:
+ Stimmiges Gesamtkonzept
+ Konservatives Bedienkonzept (ähnlich wie Windows 7)
+ Ansprechendes Design
+/- Viele Einstellungsmöglichkeiten
– Unterstützung seit einiger Zeit problematisch
– Entwicklungsrichtung unklar
Xubuntu / Xfce
Gemessen an Linux-Entwicklungszyklen ist Xfce bereits sehr alt. Xfce gibt es seit den 1990ern und die aktuelle Hauptversion 4 erschien bereits 2003. Xfce ist somit keine Eintagsfliege, aber das Alter der gegenwärtigen Hauptversion offenbart auch die schleppende Entwicklung.
Für Xubuntu spricht die konservative Bedienung des Desktops und die solide Programmauswahl. Das Design entspricht zudem modernen Standards und nimmt dem Desktop etwas von der veralteten Optik anderer Distributionen. Der Desktop lässt sich zudem recht flexibel mit modernen Elementen wie einem Dock oder einem individuellen Menü anreichern.
Etwas unklar ist jedoch die mittelfristige Perspektive. Version 4.14 schafft voraussichtlich erst den Sprung auf Gtk3, das wiederum bereits seit Jahren veröffentlicht ist. Es ist vollkommen unklar ob bei aktuellen Entwicklungsressourcen moderne Technologie wie Wayland oder HiDPI unterstützt werden können.
Zusammengefasst:
+ Relativ stimmiges Gesamtkonzept
+ Konservatives Bedienkonzept (ähnlich Windows XP)
+ Ansprechendes Design
– Mittel-/Langfristige Entwicklungsperspektive unklar
Lubuntu
Lubuntu teilt sich bereits seit einiger Zeit in zwei Entwicklungspfade. Standard bleibt auf absehbare Zeit die ressourcenschonende GTK2-basierte LXDE-Oberfläche. Daneben gibt es den LXQt-Entwicklungspfad, der mittelfristig einen modernen, ressourcenschonenden Desktop hervorbringen soll. Mit 17.10 bringt Lubuntu erstmals offiziell Images mit diesem Desktop heraus.
Lubuntu – Klassisch (LXDE)
Der klassische LXDE Desktop ist die ressourcenschonendste Oberfläche, die für Linux zur Verfügung steht – abgesehen von rudimentären Fenstermanagern.
Optisch lehnt sie sich an Windows XP an und durch die eingestellte Weiterentwicklung ist mit funktionalen Überraschungen nicht zu rechnen.
Problematisch ist aber, dass LXDE lediglich ein Desktop ist und nur wenige wirklich zugehörige Programme umfasst. Viele benötigte Programme sind deshalb aus anderen Oberflächen entliehen, weshalb der Desktop kein stimmiges Gesamtbild abgibt und sich die Programmbedienung oftmals stark unterscheidet.
Zusammgenfasst:
+ Funktional stabil
+ Ressourcenschonend
+ Sehr konservatives Bedienkonzept (ähnlich Windows XP)
– Entwicklung hinsichtlich LXQT unklar
– Kein stimmiges Gesamtkonzept
Lubuntu – Next (LXQt)
LXQt ist durch die Fusion der Entwicklerteams von LXDE und RazorQt entstanden und soll eine neue Generation des ressourcenschonenden Linux-Desktops einleiten. Optisch wirkt der Desktop durch den starken Rückgriff auf Oxygen-Designelemente aber bereits wieder veraltetet.
Durch die mögliche Verwendung von KWin als Fenstermanager eröffnet sich mittelfristig die Möglichkeit auf moderne Technologien wie Wayland zurück zu greifen. LXQt entwickelt hier als erster der kleinen Desktops eine Idee wie man in Zukunft weiter bestehen kann.
Trotz jahrelanger Entwicklung ist der Desktop dennoch bisher nur eine Technologievorschau. Die Softwaresammlung ist widersprüchlich (z.B. QTerminal und LXTerminal) und basiert im Hintergrund auf Qt, GTK und ihren widersprüchlichen Systemen (z.B. KIO und GVFS). Wie funktional dies im Alltag ist müsste sich erst zeigen – ressourcenschonend ist es nicht.
Ob LXQt in naher Zukunft wirklich LXDE beerben kann ist daher fraglich.
Zusammengefasst:
Entfällt wegen Entwicklungsstatus
Ubuntu MATE
Abspaltungen aufgrund von Unzufriedenheit mit der Entwicklung des Hauptprojekts gibt es bei Open Source-Projekten immer wieder. MATE beweist, dass man damit tatsächlich auch erfolgreich sein kann. Gestartet als Kopie von GNOME 2 hat man inzwischen erfolgreich den Sprung auf GTK3 geschafft und gleichzeitig das bewährte Bedienkonzept bewahrt.
Durch die Übernahme des GNOME 2-Quellcodes ist MATE unter den kleinen Projekten die vollständigste Desktopumgebung. Neben dem Desktop bietet man eine Reihe passender Programme. Die Entwicklung ist zudem verhältnismäßig agil, weshalb auch Zukunftsherausforderungen vermutlich gemeistert werden.
Die GNOME2-Basis hat aber auch Nachteile, die MATE bis heute nicht vollständig beheben konnte. Die Einstellungen sind ein wildes Sammelsurium kleinerer Programme und die Konfiguration der Leisten mit ihren Plugins äußerst kleinteilig. Ubuntu MATE lebt zudem stark vom Synchronisationsprozess mit Debian. Nach der Veröffentlichung einer Version enthalten die einzelnen Pakete nur noch wenig Pflege.
Zusammengefasst:
+ Funktional stabil
+ Ausgereiftes GNOME 2 Bedienkonzept
+ / – Verhältnismäßig ansprechendes Design
– Große Abhängigkeit von Debian
Ubuntu Budgie
Budgie ist der Neuling in der Ubuntu-Familie. Ursprünglich als Desktop für Solus Linux entwickelt, ist Budgie nun auch in andere Distributionen eingezogen. Die Zielgruppe von Budgie sind Anwender auf dem GNOME-Umfeld, die mit der GNOME Shell unzufrieden sind, jedoch auch nicht zu konservativen Ausprägungen wie Cinnamon oder MATE wechseln wollen.
Budgie hat ein erstaunlich durchdachtes Bedienkonzept mit einer Leiste am oberen Bildschirmrand einem Dock links und einer Widgetleiste rechts, die ähnlich wie bei macOS eingeblendet werden kann. Die Programmaustattung kommt größtenteils von GNOME, harmoniert aber gut mit dem Budgie Desktop. Die Einstellungsmöglichkeiten sind aber verhältnismäßig umfangreich.
Ubuntu Budgie hat seinen offiziellen Derivatstatus erst seit Version 17.04 ist verfügt deshalb zur Zeit über keine LTS-Variante. Langfristig gibt es wohl zudem Überlegungen den Desktop auf Qt zu portieren, weshalb die Entwicklungsrichtung unklar ist.
Zusammengefasst
+ Stimmiges Gesamtkonzept
+ Ansprechendes Design
– Keine LTS Version
– Entwicklungsrichtung unklar
– Vor allem für Solus entwickelt, Integration in Ubuntu erst seit kurzem