Was ist eigentlich Betriebssystem und was nicht?

Bei Linux war bisher alles eins. Vom Kernel über die Firmware bis zum Tetrisspiel wurde alles über die Paketverwaltung installiert, aktualisiert und bei Bedarf wieder entfernt. Deshalb sprach man auch nicht gerne vom Betriebssystem Linux, sondern von der Distribution. Mit den neuen unveränderlichen Systemen stehen nun spannende Diskussionen an.

Natürlich hat es schon früher Versuche gegeben, zu definieren, was zur Grundausstattung gehört. Die verschiedenen Distributionen haben hier unterschiedliche Entscheidungen getroffen. Manche haben sich eher schlank präsentiert, andere haben nach einer Standardinstallation die eierlegende Wollmilchsau ausgeliefert.

Für die Anwender war das im Zweifelsfall nicht so wichtig. Sie konnten alles nach Belieben nachinstallieren oder entfernen (und im Zweifelsfall sogar ihr System demolieren). Linux war und ist eben im Zweifelsfall mehr ein Baukasten als ein konsistentes Betriebssystem, vergleichbar mit Windows oder macOS.

Dies ändert sich nun mit den neuen unveränderbaren Distributionen. Hier definiert der Distributor ein unveränderbares Basissystem, das der Anwender genau so verwenden muss, wie es ausgeliefert wird. Die Wahlfreiheit des Anwenders beschränkt sich auf Flatpaks und andere Container (und natürlich bleibt immer die Option, die Distribution zu wechseln).

Aufgabe des Distributors ist es nun, eine konsistente Zusammenstellung zu liefern. Derzeit gibt es dies nur für Desktop und IoT, in Zukunft wäre dies auch für Smartphones denkbar.

Insbesondere für den Desktop ist dies ein spannendes Thema. Die Frage, welche Programme zur Basis gehören und welche in die weite Welt der Flatpacks entlassen werden können, ist keineswegs trivial zu beantworten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Projekte GNOME und KDE in erster Linie als Entwicklergemeinschaften verstehen, die ganz unterschiedliche Projekte unter ihrem Dach vereinen.

Muss ein Basis-Image einen Mailclient oder einen PDF-Reader enthalten? Braucht es 2023 noch die standardmäßige Unterstützung von Audio-CDs oder gar Disketten? Diese Frage kann nicht mehr an den Endanwender delegiert werden, sondern die Distributoren müssen entscheiden und in letzter Konsequenz sogar bestimmte Nutzergruppen vor die Tür setzen.

Wie fluide diese Entwicklung ist, lässt sich beim Vorreiter Fedora beobachten. Aktuell werden z.B. bei Fedora Kinoite noch häufig Pakete hinzugefügt und entfernt. Die Hintergründe lassen sich meistens in der Diskussion auf Pagure finden.

Die Diskussion ist für die Linux-Gemeinde ungewohnt. Ich finde sie aber sehr spannend, weil zum ersten Mal definiert werden muss, was wirklich das Basis-Betriebssystem ist, was zum Desktop gehört und was außerhalb der Distribution, z.B. bei Flathub, angesiedelt ist.

Perspektivisch könnte dies auch eine Chance für die Distributionen bedeuten. In den letzten Jahren gab es bei den Distributionen eine starke Tendenz zur allgemeinen Nivellierung. Marke, Internetauftritt und Community waren oft die wichtigsten Unterscheidungskriterien; Standardinstallation und Softwarepool unterschieden sich hingegen kaum. Die aktuelle Entwicklung könnte dem Konzept der Distribution wieder eine neue Daseinsberechtigung geben.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.

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