Die Zugehörigkeit von WhatsApp zu Facebook und die Ambitionen, Daten innerhalb des Konzernes zusammen zu führen, sind lange bekannt – dachte man zumindest. Die Änderung der AGBs löste jedoch ein gewaltiges Medienecho aus und setze die Nutzermassen in Bewegung. Nun ist der Konzern eingeknickt und verschiebt das Projekt erst einmal.
Wenn man sich häufiger mit der Materie beschäftigt, fragt man sich zwangsläufig, was diese Woche eigentlich passiert ist. Die AGB-Änderungen waren nicht besonders umfangreich, die Folgen für die Nutzer sind vor allem in Europa unklar. Medienecho und Shitstorm folgen jedoch eigenen Regeln und die Aufforderung, die neuen AGBs zu bestätigen, löste Bewegung unter den Nutzern aus.
Dabei lassen sich mehrere interessante Phänomene beobachten.
Ersten kommen diese Bewegungen oft einem Sturm im Wasserglas gleich. Das Medien- und Twitterecho ist gewaltig, aber ansonsten passiert wenig. Dieses Mal war das anders. Ich tanze bei Messengern auf vielen Hochzeiten und nutze sowohl WhatsApp,als auch Threema und Signal. Bis vor knapp einer Woche waren 95% meiner Kontakte auf WhatsApp, von denen noch mal rund 10% auf Signal und eine Handvoll bei Threema vertreten waren. Die Zahlen bei Signal sind in den vergangenen Tagen deutlich angestiegen. Inzwischen kann ich über den sicheren Messenger knapp 20-30% meiner Kontakte erreichen. Es sind dabei auch Personen gewechselt, für die IT-fern noch eine freundliche Umschreibung ist.
Zweitens spielte in der öffentlichen Wahrnehmung endlich Telegram keine relevante Rolle mehr. Möglicherweise haben die Verschwörungsideologen hier mal einen positiven Effekt und die negative Assoziation dieser Gruppierungen überträgt sich auf ihren präferierten Dienst Telegram und nimmt dem Messenger seinen guten Ruf. Denn mehr als ein guter Ruf war da nicht. Hinsichtlich der Sicherheit war Telegram schon immer ein richtig schlechter Messenger (siehe: Kommentar: Telegram ist unsicher – welch Überraschung) und Finanzierung und Betreiber des Dienstes sind bestenfalls nebulös.
Drittens spielen selbst ernannte IT-Experten zum Glück keine Rolle für die Meinungsbildung. Wenn es nach denen ginge. würden wir nun wieder in die Messenger-Steinzeit katapultiert werden und über XMPP, Matrix oder andere Nischendienste sprechen. Mit dem Effekt, dass das unter Punkt 1 beschrieben Phänomen nicht eingetreten wäre. Niemand hat Lust, sich mit den systembedingten Beschränkungen föderierter Messenger und ihren unausgereiften Funktionen herumzuschlagen (siehe dazu auch: Dezentralisierte Dienste – Zu spät, zu kompliziert, zu fragmentiert). Und entgegen dem was die Apologeten föderierter Systeme so behaupten, sind diese Messenger systembedingt sogar unsicherer (siehe auch: XMPP und Matrix im Vergleich mit Signal und Threema). Die Anliegen digitale Souveränität und Sicherheit können zwar Zweckgemeinschaften bilden, das eine bedingt aber nicht unbedingt das andere. Mal davon abgesehen, dass nahezu alle Dienste mit komplett verteilter Infrastruktur das Ende von E-Mail und XMPP erleiden: Im besten Fall den technologischen Tod bei anhaltender Nutzung (E-Mail), im schlechtesten sogar das komplette Verschwinden (XMPP).
Abzuwarten bleibt nun, inwieweit das von Dauer ist oder ob die neuen Signal-Anwender nicht doch mittelfristig wieder bei WhatsApp landen.
Eines dürfte nämlich klar sein: Facebook hat seine Bemühungen aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Der Konzern hat nämlich ein Problem. Das Hauptnetzwerk Facebook und der wichtigste Werbemarkt vergreist regelrecht. Alle Zielgruppen, die im Marketing noch unter „jung“ fallen, kehren dem Netzwerk den Rücken. Der Konzern muss also seine deutlich besser agierenden Töchter Instagram und WhatsApp konsequenter monetarisieren. Entweder indem er konsequent Daten abgreift oder indem er Werbung schaltet. Letzteres könnte aber WhatsApp noch mehr Nutzer kosten, als die Bewegung in dieser Woche.
Bilder:
Einleitungsbild und Beitragsbild von von 200 Degrees via pixabay