Wie man nicht auf Nutzer-Anforderungen reagieren sollte

Windows ist der Standard, Linux und macOS die Alternativen. Selbst die meisten wechselwilligen Anwender haben fest gefügte Arbeitsabläufe und Anforderungen. Die Supportforen und Kommentarspalten sind voll davon, wie man auf solche Anforderungen nicht reagiert.

In der Regel handelt es sich um wechselwillige Anwender, manchmal sind diese Nutzer auch schon gewechselt und wollen nun ihren Workflow von Virtuellen Maschinen mit Windows oder Krücken wie Wine hin zu nativen Programmen umstellten oder aber native Programme werden eingestellt und sie suchen Alternativen. Entweder fragt man im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis oder schlägt auf einer der zahllosen Plattformen im Internet auf.

Dort wimmelt es dann von Beispielen, wie man auf solche Anfragen nicht reagiert:

  • Die Anforderung wird disqualifiziert, weil sie nicht der “Unix-Philosphie” entspricht, die doch behauptet “Schreibe Computerprogramme so, dass sie nur eine Aufgabe erledigen und diese gut machen”. Dabei ist es unerheblich, dass die Vertreter dieses Unix-Philosophie-Arguments in der Regel keinen blassen Schimmer von Unix-Philosophie haben und wie alle Fanatiker überhaupt nicht kontextualisieren.
  • Die Anforderung wird disqualifiziert, weil der Anwender es schon immer falsch gemacht hat. Beispiel: So etwas macht man doch nicht mit einem Tabellenkalkulationsprogramm, dafür gibt es richtige Datenbanksysteme oder: Für so etwas nimmt man doch nicht Word, Profis arbeiten mit LaTeX.
  • Die Anforderung wird disqualifiziert, weil man den Anforderungsfall negiert. Beispiel: Das Dateiformat PDF ist nicht zum bearbeiten da. Dafür gibt es andere Formate. Du brauchst kein PDF-Bearbeitungsprogramm.
  • Die Anforderung ist legitim, eine Lösung von der Stange gibt es nicht: Beispiel: Das ist ein Problem, ich habe mir dazu eine Reihe von Skripten geschrieben, aber die sind schlecht dokumentiert und die kannst du nicht verwenden. Aber du kannst ja eben schnell selbst lernen solche Skripte zu schreiben.
  • Die Anforderung passt nicht zur Projekt-Philosophie, deshalb erklärt man sie für unsinnig. Beispiel: Dateien und Ordner auf dem Desktop. Wollen viele Leute haben, bieten Windows und macOS an. Desktopentwickler bei Linux haben sie zeitweilig (KDE) oder dauerhaft (GNOME) für überflüssig erklärt und die Claqueure unter den Anwendern sekundieren fleißig, indem sie allen die das fordern bzw. wünschen schlechte Dateiorganisation unterstellen.
  • Die Anforderung lässt sich mit Linux nicht umsetzen, deshalb erklärt man sie für veraltet/unsicher/was-auch-immer. Beispiel: Offline-Synchronisation zwischen Desktop und Smartphone ist doch total veraltet, das macht man inzwischen über die Cloud. Wenn du Bedenken wegen der Privatsphäre hast, setze dir doch eine Nextcloud auf einem Server auf. Wie du hast keinen Server?

Diese Liste ließe sich sicher noch um einiges verlängern. Stattdessen sollte man jeden Anwendungsfall erst mal legitim finden und analysieren.

Diese Analyse kann durchaus mal das Ergebnis haben, dass der Anwendungsfall Quatsch ist. Ich hatte beispielsweise mal einen Fall, wo bemängelt wurde, dass Taschenrechner und Tabellenkalkulation ständig den Fokus beim scrollen verlieren. Dem Anwender war nicht klar, dass jedes Tabellenkalkulationsprogramm selbst rechnen kann. Das zeigt man ein mal und dann ist das ursprüngliche Problem mit einem Schlag wirklich unwichtig.

Andere Probleme könnten sich durch ein alternatives Protokoll lösen lassen. Manche Anwender schlagen z. B. mit komplexen Synchronisationslösungen für Mails auf, weil sie immer noch POP3 anstelle von IMAP verwenden. Hier hilft manchmal einfach die Anwender in die richtige Richtung zu schupsen. Was nicht unbedingt bedeutet, dass im Einzelfall nicht dennoch POP3 die bessere Wahl bleiben könnte. Hier sollte man immer ergebnisoffen bleiben.

Meistens sind die Anwendungsfälle aber komplexer. Manchmal muss man etwas machen, was das Format nicht vorsieht, aber unter Systemen wie Windows möglich ist. Mein gegenwärtiges Lieblingsbeispiel ist das, was in Bibliotheken der sogenannte Konstanzer Workflow oder Konstanzer Methode genannt wird. Dabei geht es – ganz stark verkürzt – um eine Vorgehensweise, wie man die Verlagsversion von Aufsätzen (das sind PDFs) so bearbeitet, dass man sie über das institutionelle Repositorium zweitveröffentlichen kann, ohne die Policies und gesetzlichen Anforderungen zu verletzen. Das geht nur mit ausgefeilter PDF-Bearbeitung, einem PDF-Drucker (kein speichern) und einer Bearbeitung der Metadaten. Das ist total sinnlos, aber über manche Dinge kann man nicht streiten. Man sollte sie auch nicht pauschal disqualifizieren.

Ganz hilfreich ist der Typus des Besserwissers, der stark veraltetes Wissen oder stark selektives Wissen hat, aber das nicht eingestehen möchte. Ich nenne ihn immer gerne den “LaTeX-Typus”. Standardherangehensweise ist alle Anfragen zu LibreOffice oder MS Office, Scribus etc. pp. mit LaTeX zu kontern. Gerne in folgendem Argumentationsstil: Alle Wissenschaftler arbeiten mit LaTeX, weil nur LaTeX für die Langzeitarchivierung geeignet ist und alle Verlage gerne LaTeX akzeptieren. Jede Entwicklung neben LaTeX ist unbedeutend, der Fragesteller ist nur so faul die steile LaTeX-Lernkurve zu absolvieren. Das ist selektiv bis falsch und der Wissensstand von circa 2005-2010, aber dem Besserwisser ist das egal, weil seine Wissen vermeintlich überlegen ist.

Besonders fatal sind jene Kommentatoren (Hilfesteller mag ich sie nicht nennen, weil sie nicht helfen), die sich derart in ihr System eingeigelt haben, dass sie gar nicht wissen, was andere Systeme können und auf jedweden Verweis mit “Brauch ich nicht” und “Brauchst du auch nicht” reagieren.

Nur mal als Denkanstoß, nachdem ich heute morgen bei der Suche nach einer Lösung wieder in sehr vielen Supportforen in den Abgrund schauen durfte.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Wobei man der Vollständigkeit halber anfügen muss, dass das kein Eigenheit der Linux-Community ist. Das ist ein generelles Phänomen, nicht mal spezifisch auf Betriebssysteme. Such mal bspw. nach Lösungen für Problemen und deren Lösung im Telekom Hilft Forum. Auch dort öffnen sich Höllenschlund-artige Abgründe.

    Natürlich wäre das noch ein Grund mehr es in der FLOSS-Community besser zu machen – allein es wird nicht passieren.

  2. Meiner Meinung nach liegt das Problem wirklich in den Besserwissern (ein, wie ich finde, typisch deutsches Phänomen), die mit erhobenen Zeigefinger jemanden die Welt erklären wollen, so wie sie (ihrer Meinung nach) zu sein hat. Früher war dies oft im Aptosid-Forum der Fall – ein Grund, warum es diese Distro nicht mehr gibt (worüber ich sehr froh bin, die Unfreundlichkeit und Arroganz dort war unerträglich). Aber wie mein Vorredner schon richtig schrieb, ist das nicht nur auf ein bestimmtes Betriebssystem beschränkt.

  3. Ich glaube darum bin ich gerne bei ubuntuusers unterwegs. da habe ich die Probleme eigentlich nur selten. Anderseits muss man aber auch sagen, das die Schreibweise einer Anfrage stark Einfluss auf das erscheinen von solchen Antworten hat.

  4. Ist ja soweit alles ganz richtig. Wenn man aber etwas zum Besseren ändern will, zeigt man Fehler eher nicht in einer lagen Liste von Negativbeispielen auf. Die (freiwilligen) Helfer in den Foren fühlen sich davon dann eher angegriffen. Positivbeispiele und konstruktive Motivation führen da weiter als “meckern”. Und mit guten Beispiel vorangehen. Ich versuche das zumindest, wenn ich mich als Supporter engagiere. Manchmal klappt das auch ;-).

    • Dem muss ich leider widersprechen. Wenn sich in den Communitys erst mal unter den (verbliebenen) Akteuren der informelle Konsens durchgesetzt hat, dass man alles richtig macht und alle anderen nur grundlos meckern, dann hilft es nicht mit gutem Beispiel voran zu gehen.

      • Sehe ich trotzdem als einzige Möglichkeit. Dieser Blogbetrag wird höchstens die bestätigen, die das beschriebene Verhalten ebenfalls kritisch sehen. Die Supporter, die sich so verhalten, wird das nicht (positiv) beeinflussen.

    • Ich bin lange genug als begeisterter Freitzeit-Supporter mehrsprachig auf verschiedenen Plattformen aktiv gewesen. Die Querschläger interessiert es nicht, ob du mit gutem Beispiel voran gehst oder nicht. Die kommen um sich zu empören, um zu kritisieren und um dir bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ihr ganz persönliche Meinung unter die Nase zu reiben. Das ist der einzige Grund, warum sie auf der jeweiligen Plattform überhaupt aktiv sind. Je nachdem wie weit die Akzeptanz für die Scheiße in einer Community fortgeschritten ist, wird es schwieriger überhaupt Hilfestellungen zu geben. Antworten und Rückfragen gehen in den Nebengeräuschen unter, oder man muss sich noch dafür rechtfertigen.

      Hier geht es aber weniger um diese Leute, als darum wie eine Community mit ihnen umgehen will. Deren Verhalten ist toxisch und vergrault kompetente Mitglieder. Damit wird eine Plattform/Community für Support irgendwann unattraktiv, weil niemand mehr wirklich die Fragen beantworten kann. Dem gilt es entgegen zu wirken und Negativbeispiele als Kritik auch anzunehmen.

      Bislang habe ich aber wenig Bemühungen gesehen, außer das mit Technik wie einem Scoring-System für die Antworten zu filtern. Immerhin verschwendet man bei einer Internetrecherche dann keine Zeit mehr beim Überfliegen der nutzlosen Antworten. Beteiligen mag ich persönlich mich aber nicht mehr, das ist inzwischen alles so anstrengend geworden.

  5. Tja, diese Foren… von veraltet bis unbrauchbar alles dabei und manchmal ein verwendbarer Schnipsel.
    Da lohnt sich vielleicht ein Blick auf Stack Overflow. Deren Organisation der Antworten befördert das Brauchbare und Gute. Irgendwas machen die Kollegen dort richtig…

  6. Danke, danke, danke! Der Artikel spricht mir aus der Seele. Als ich vor ca. 20 Jahren von Windows zunächst zu Ubuntu wechselte (und die neuen Routinen und Systematik fielen mir nicht in den Schoß), da hat auch der insgesamt angenehme Ton im Forum von ubuntuusers.de dazu beigetragen, dass ich es geschafft habe. Sehr selten wurde mein Problem für idiotisch und ich für einen Idioten gahalten, was ich vorher zu Hauf auf windowsnahen Foren häufig erlebt hatte. Später wechselte ich zu Manjaro und dessen Foren und erlebte die ebenfalls als sehr angenehm. Einmal erlebte ich, dass jemand, der durch eine sehr drastische Wortwahl heraus stach, von anderen deshalb kritisiert wurde.
    Um in einem Bild zu sprechen: Wer in einem Forum schreibt, dem brennt unter Umständen die Hütte. Da muss gelöscht werden und nicht belehrt. Kein Feuerwehrmann geht hin und raunzt den Besitzer der Hütte: “Ich lösche nicht, weil Deine Sprinkleranlage nicht der Vorschrift Soundso entspricht.”

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