Überwachung von Studierenden in der Online-Lehre

Der baden-württembergische Landesbeauftragte für Datenschutz geht gegen Überwachungssoftware von Onlineprüfungen vor. Ansatzpunkt sind Verstöße gegen Datenschutz und IT-Sicherheit.

Konkret handelt es sich bei dem bemängelten Verfahren um den Einsatz einer Software zur Überwachung von Online-Prüfungen, die von der Poctorio GmbH aus München entwickelt wird.

Der Vorgang kommt nicht überraschend. Proctorio gewann bereits den BigBrotherAward 2021 für seine Software zur Überwachung von Studierenden. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat nun ein Gutachten zu der Software veröffentlicht. Verfasst hat dies Mike Kuketz, dessen Blog die meisten Datenschutz-Interessierten kennen dürften.

Wenn man sich das Gutachten und die Funktionsweise der Software anschaut, fragt man sich, wie eine solche Software die juristische Prüfung und den internen Datenschutz an einer Hochschule passieren konnte, so eklatant sind die Mängel. Sollten die Mitarbeiter dort die Software ohne Beanstandung durchgewunken haben, gehören sie eigentlich auf andere Posten versetzt. Das kann man nur leider von außen nicht beurteilen.

Die Studierenden werden gezwungen, eine Software auf ihren Privatgeräten zu installieren, die über ein Browser AddOn (ausgerechnet auch noch für Google Chrome) Zugriff auf Zwischenablage und Verlauf hat und Browser-Einstellungen (z. B. Proxy-Einstellungen) verändern kann. Leider ist das nur die Spitze des Eisbergs, denn die Software verschleiert laut Gutachten ihr Datensendeverhalten, stellt Anwender virtueller Umgebungen unter Generalverdacht und nutzt weitere Erkennungsmaßnahmen, um Manipulation zu verhindern. Hinzu kommen Übertragungen in die Microsoft Azure Cloud und an Google Analytics. Die freiwillige und informierte Einwilligung der Studierenden kann unter den vorliegenden Voraussetzungen wohl als nicht gegeben angenommen werden.

Dazu kommt natürlich noch die bekannte und gewünschte Funktionsweise, die vorsieht, den Studierenden während der Prüfung über die Webcam zu überwachen. Entweder direkt durch die Lehrenden oder automatisch durch die Software. Bei Letzterem kommen KI-gestützte Verfahren zum Einsatz, die erkennen, ob sich weitere Personen im Raum aufhalten und die Augenbewegung analysiert. Diese massive Überwachung wird ergänzt durch einen “Raum-Scan”, bei dem die Studierenden ihren kompletten Arbeitsraum vorführen müssen.

Es ist sehr gut, dass die Datenschutzaufsicht hier tätig wird. Ich war zugegebenermaßen schockiert, als ich las, dass auch renommierte große Universitäten solche Software einsetzen. Es gibt schon so lange gute Alternativen wie Kofferklausuren bzw. Open Book Klausuren, die Verständnis Und Transferleistung verlangen und nicht stumpfes Wissen abprüfen. Ein Dozierender, der so eine Software braucht, um seine Klausuren zu überwachen, sollte seine didaktischen Konzepte dringend überdenken.

Ebenso sollte man sich bei der Gelegenheit gleich fragen, ob Informatik-Curriucula um mehr Vermittlung von Ethik ergänzt werden sollten. Es ist traurig zu sehen, dass es Firmen mit solchen Geschäftsmodellen in Deutschland gelingt, halbwegs qualifiziertes Personal anzuwerben.

Traurig ist allerdings, dass diese Verfahren die Studierenden bereits optimal auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, bei dem unfähige Manager ihre Mitarbeiter mit der gleichen Überwachung gängeln und sich dann wundern, dass sie keine qualifizierten Fachkräfte gewinnen können. Aber das ist ein anderes Thema.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Schönes Beispiel für sinnvolle Datenschutzarbeit. Solche Software geht völlig über die Grenze dessen, was angemessen und erlaubt sein sollte.

    Vorsicht aber beim Schuss gegen die Dozenten: Dass sie das anordnen ist ja eher zweifelhaft, das wird wohl eher von den Unis kommen die damit irgendwelche Qualitätskriterien der Prüfungsaufsicht umsetzen wollen.

    Nebenbemerkung: Du meinst Studenten und Dozenten, nicht Studierende und Dozierende. Die Software wird ja gerade nicht beim Studieren oder Dozieren benutzt, sondern beim Prüfungsschreiben. Diese *end-Form wird gerade generell sehr oft auch in Zeitungen eingesetzt, es ist aber kein zulässiges Deutsch und drückt meistens nicht aus, was die Journalisten sagen wollen. Hier z.B. passte es in keinem einzigen Satz.

    • “Vorsicht aber beim Schuss gegen die Dozenten: Dass sie das anordnen ist ja eher zweifelhaft, das wird wohl eher von den Unis kommen die damit irgendwelche Qualitätskriterien der Prüfungsaufsicht umsetzen wollen.”

      Da wäre ich mir nicht so sicher. Die Lehrenden haben oft Leitplanken, aber innerhalb dieser können sie sich sehr frei bewegen. Die wenigstens Prüfungsordnungen schreiben exakt eine Klausur nach Multiple-Choice-Schema vor, sondern sprechen von einer benoteten schriftlichen Prüfungsleistung oder ähnlichem. Das ist wenn ich mich recht erinnere meistens nur bei den Staatsexamen wirklich konkret geregelt.

      Zum Rest: Der Duden erlaubt es und damit ist es quasi amtlich richtig: https://www.duden.de/rechtschreibung/Studierende

      • Der Duden irrt manchmal 🙂 Nach der Logik “es wird oft benutzt” gehörte da auch Standart für Standard rein.

        Du hast Recht, dass Dozenten manchmal viele Freiheiten gerade bei der Prüfungsausgestaltung haben. Aber gerade bei den Details wie “es darf nicht abgeschrieben werden und das überwachen wir so” endet meines Wissens die Freiheit. Dass das an allen Unis garantiert immer so ist kann ich natürlich nicht sagen.

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