Vor etwas mehr als einem Jahr schrieb ich hier im Blog einen Artikel über Jolla und die Verbindungen nach Russland (siehe. Jolla / Sailfish OS – Zu enge Staatsverbindungen?). Ein kleiner Blogbeitrag, der bei mir sehr zuverlässig für Kommentare sorgt, weil er scheinbar bei einigen Suchmaschinen gut gelistet ist.
Das Thema hat mich deshalb nicht losgelassen und ich möchte einige Ergänzungen nachtragen und einige Aspekte etwas ausführlicher beleuchten, als im ursprünglichen Artikel.
Einordnung
Die Frage wem gehört eine Firma und wer hat möglicherweise Einfluss auf ihre Entscheidungen ist meiner Meinung nach absolut legitim. Am Beispiel von Huawei sieht man gerade wie exakt diese Frage, nämlich die nach dem Einfluss des chinesischen Staates, gerade auf höchster politischer Ebene verhandelt wird. Ein paar Nummern kleiner wurde eben genau diese Frage auch immer wieder im Zusammenhang mit SUSE (Stichwort Novell-Microsoft Deal) thematisiert.
Bei vielen Firmen im Open Source Umfeld sind die Besitzverhältnisse relativ klar. Red Hat gehört so seit kurzem zu IBM, SUSE gehört gegenwärtig dem Finanzinvestor EQT, Canonical ist immer noch nicht an der Börse und gehört Mark Shuttleworth. Kleinere Projekte werden entweder von ehrenamtlicher Arbeit getragen oder durch Philanthropen finanziert. Telegram, Signal, viele KDE-Projekte fallen in diese Kategorie.
Man kann sich über die Eigentumsverhältnisse aufregen – gerade bei IBM und Red Hat haben das wieder viele Kommentatoren getan – oder diese als gegeben hinnehmen. Ich persönlich finde hier vor allem Transparenz wichtig. Ich weiß im Open Source Umfeld einfach gerne wem die Firma gehört und wie sie ihr Geld verdient. Denn dieser Aspekt ist oft für technische Entscheidungen verantwortlich. Das ausufernde Tracking bei Konzernen wie Facebook oder Google hat seine Ursache schließlich im werbefinanzierten Business-Modell und dem Wunsch dem Kunde immer passendere Anzeigen und Empfehlungen geben zu können.
Investoren und Eigentümer von Jolla
Jolla wurde von ehemaligen Nokia-Leuten gegründet und sollte wirtschaftlich unabhängig agieren und die MeeGo-Entwicklung weiter führen. Das Tablet-Desaster brachte die Firma dann in finanzielle Schwierigkeiten. Danach wird es sehr schwierig, wenn man handfeste Informationen sucht. Jolla schaffte es erfolgreich Mittel einzutreiben um fortzubestehen. Woher genau diese Mittel kamen bleibt nach Sichtung der Berichterstattung in der einschlägigen IT-Presse nebulös. In StartUp-Kreisen ist so etwas allerdings nicht gänzlich ungewöhnlich.
Nach dem Tablet-Fiasko wandte sich Jolla den Schwellenländern zu, da das Duopol von iOS und Android in den Industrienationen zu etabliert war. Es begann eine Partnerschaft mit Russland, deren Kriterien reichlich schwierig zu verstehen sind. Im März 2018 kündigte man Rostelecom als neuen strategischen Investor an. Wie viel Rostelecom investierte und welche Anteile es seitdem an Jolla bzw. der Sailfish Holding hält steht dort leider nicht. Kleine Nebenbemerkung am Rande: Die Art wie man in dem Blogpost versucht Rostelecom ganz weit weg vom russischen Staat zu rücken ist durchaus bemerkenswert. Zumal die russische Regierung scheinbar direkt involviert war. Die Sailfish Holding hat gemäß dieser Meldung jedenfalls finnische, russische und chinesische Anteilseigner. Andere Kooperationen von Jolla, wie z. B. der Versuch mit dem indischen Intex zusammen zu arbeiten, schliefen wieder ein.
Russland hatte als einziges Schwellenland nachhaltiges Interesse an einer Zusammenarbeit. Man versucht dort seit längerem unabhängig von ausländischen IT-Konzernen zu werden. Anfang 2019 gab man bekannt, dass Russland Staatsdiener mit Mobilgeräten mit Aurora OS ausstatten möchte. Dabei handelt es sich um eine Abspaltung von Sailfish OS. Die Lizenzierung erfolgt an Open Mobile Platform, das laut Reuters mehrheitlich Rostelecom gehört. Rostelecom stieg der Meldung zufolge auch bei Votron ein, eine Firma die laut Reviewjolla zu den größten Einzel-Aktionären von Jolla gehört. In jedem Fall dürfte Russland bzw. die russischen Beamten zur zahlenmäßig größten Anwendergruppe von Sailfish OS aufsteigen.
Ich bin kein Wirtschaftsjournalist. Mir fehlt daher sowohl die Expertise, als auch die Recherchewerkzeuge um dieses Thema wirklich zu durchdringen. Ich freue mich daher auf Ergänzungen. Meine Schlussfolgerung ist vorerst, dass Russland bzw. Firmen mit russischer Staatsbeteiligung Jolla nach dem Tablet-Desaster über den Berg geholfen haben und nun zu den größten Auftraggebern gehören. Gleichzeitig sorgt Jolla hier wirklich nicht für Transparenz sondern hüllt sich in wolkige PR-Sprache.
Eine Frage der Relevanz
Nun kann man natürlich argumentieren, dass die Finanzierung von Jolla und wer welche Anteile hält vollkommen irrelevant sei. Bei Alphabet, Apple oder Microsoft würde man das schließlich auch nicht sezieren. Das ist eine legitime Sichtweise.
Ich persönlich lege an Firmen im Open Source Umfeld aber höhere ethische Maßstäbe an. Das tun übrigens auch andere wenn man sich an das PR-Debakel von Ubuntu bei der Kooperation mit Amazon erinnert. Wenn also schon die Kooperation mit einem US-amerikanischen Konzern in den Augen vieler Anwender für einen Aufschrei ausreichte, was ist dann erst bei Staatskooperation? Meiner Meinung nach sind Kooperationen mit Diktaturen oder Autokratien, bzw. ganz allgemein Staaten, die systematisch die Menschenrechte missachten, für Firmen im Open Source Umfeld völlig indiskutabel. Etwas überspitzt gesagt: Wollen wir eine Beteiligung von Nordkorea am Linux Ökosystem, weil sie mit Red Star Linux staatlicherseits Linux einsetzen? Die Antwort dürfte bei den meisten hoffentlich Nein lauten. Dies richtet sich auch nicht speziell gegen Russland, sondern ich habe diese Vorbehalte auch gegen chinesische Hersteller und hätte sie auch wenn z. B. Saudi-Arabien ein Betriebssystem vorstellt.
Es geht hier auch nicht darum, ob ein russischer Konzern 0,5% einer Firma hält, sondern um Einfluss. Man kann bei Jolla natürlich nicht hinter die Kulissen schauen aber die Kooperation mit Russland/Rostelecom/Open Mobile Platform hinsichtlich Aurora OS dürfte neben der Sony-Geschichte mit Sailfish X das wichtigste wirtschaftliche Standbein für Jolla sein. Daraus folgt normalerweise zumindest informeller Einfluss.
Der Anwender hat also – überspitzt formuliert – die Wahl zwischen einer US-amerikanischen Gelddruckmaschine (Apple), einem Werbe-/Trackingkonzern (Google) und dem Betriebssystem einer Firma, die mit einem Fuß in einer Autokratie steht. Für so etwas wurde mal der Spruch vom „Regen in die Traufe“ geprägt.
Ich persönliche habe überhaupt kein Problem mit Jolla oder Sailfish OS. Ich habe der Firma damals nach der unsäglichen Ausrichtung von Nokia nach Redmond das Beste gewünscht, weil MeeGo ein toller Ansatz war und es damals noch die realistische Chance gab ein Duopol zu verhindern. Es hat wirtschaftlich halt nicht sonderlich gut funktioniert und die Firmenleitung hat danach Entscheidungen getroffen um das wirtschaftliche Überleben sicher zu stellen. Ich kann aber angesichts der Sachlage die Affinität in Teilen der Open Source Gemeinschaft zu Jolla überhaupt nicht mehr verstehen. Denn machen wir uns nichts vor – von russischen Staatsdienern mal abgesehen – stammt ein Großteil des Sailfish-Nutzerkreises mit ziemlicher Sicherheit aus der Open Source Gemeinde.