Debian – Eine Kritik

Debian GNU/Linux ist eine der ältesten noch aktiv entwickelten Linux-Distributionen und mit Sicherheit das wichtigste und größte Community-Projekt unter den Linux-Varianten. Ohne Debian wären zahllose Derivate – nicht zuletzt das immer noch sehr populäre Ubuntu – schwer vorstellbar. Trotzdem hat sich die Distribution ins Abseits manövriert.

Debian spielte das letzte Mal 2015 in diesem Blog eine Rolle, als die Version 8.0 einem wohlwollenden Test unterzogen wurde (siehe: Debian 8.0 „Jessie“ im KDE Test). Relativ kurz danach sortierte ich Debian schweigend aus und habe dies in meiner jüngsten Empfehlung von Linux-Distributionen auch in einem Halbsatz erwähnt (siehe: Linux-Distributionen – Die Qual der Wahl). Dabei wurde zu recht in den Kommentaren kritisiert, dass ich dafür eine Begründung schuldig geblieben bin. Das soll hiermit nachgeholt werden.

Debian GNU/Linux ist eine der wenigen großen Distributionen ohne Firma im Hintergrund. Diese Unabhängigkeit ist zusammen mit den sehr umfangreichen Paketquellen sicherlich das beste Argument für Debian. In den vergangenen Jahren ist die Distribution jedoch ins Hintertreffen geraten, möglicherweise nicht mal durch aktive Entscheidungen, sondern eher durch das Fehlen solcher.

Eine Kritik in vier Punkten

Supportzeiträume

Die Linux-Distributionen haben sich in den vergangenen Jahren ausdifferenziert. Auf der einen Seite jene Varianten ohne stabile Veröffentlichungen, die einem rollenden Entwicklungsmodell folgen: Arch Linux, Manjaro, openSUSE Tumbleweed, Chakra, KaOS, Solus – um nur die bekannteren Projekte zu nennen. Diesen Projekten stehen die Distributionen mit einem Fokus auf stabilen Langzeiteinsatz gegenüber: RHEL (inklusive der semi-offiziellen Klone CentOS, Scientific Linux), SLE, Ubuntu und mit Abstrichen openSUSE Leap. Die Supportzeiträume rangieren zwischen 5 und 10 Jahren.

Debian ist weder Fisch, noch Fleisch. Die stabilen Veröffentlichungen haben einen Supportzeitraum von knapp drei Jahren (abhängig vom Erscheinen der Folgeversion), ergänzt durch den sehr beschränkten LTS-Zusatz für weitere zwei Jahre. Dieser umfasst aber nur wenige Pakete und kann daher nicht konkurrieren. Daneben hat man mit Debian Sid/Testing zwei rollende Zweige, die durch das behäbige Entwicklungssystem oftmals sogar hinter den STS-Snapshots von Ubuntu her hinken und bei weitem nicht mit den obigen RR-Distributionen konkurrieren können.

Organisation und Transparenz

Debian ist das vielleicht am vollständigen durchorganisierteste Projekt im Open Source Universum. Um ein so großes Projekt am Laufen zu halten ist natürlich mehr Organisation notwendig, als bei kleineren Projekten wie KaOS. Als Anwender hat man aber regelmäßig das Gefühl, dass das Projekt an seiner Organisation erstickt.

Das fängt schon bei der Außendarstellung an: Die Internetauftritte sind hoffnungslos veraltet, das Wiki unübersichtlich und oft nicht aktuell. Es betrifft aber auch den Kern der Distribution. Entscheidungen warum Pakete aus der Distribution entfernt werden, welche im Gegenzug den Aufnahmeprozess überstehen und welche Versionen es in die finale Veröffentlichung schaffen sind vollkommen intransparent für Außenstehende. Insbesondere die Maintainer-Gruppen verwalten oftmals riesige Paketgruppen ohne konkreten Ansprechpartner.

Die hohen Aufnahmehürden gewährleisten zwar eine gewisse Qualität, schrecken aber auch viele ab. Die stetig sinkenden Maintainer-Zahlen (auf hohem Niveau versteht sich) zeigen das. Die gewünschte Communitymitwirkung beschränkt sich auf Wikiartikel und Dokumentationen verfassen. Das ist ein sehr altes Verständnis von Community-Partizipation und möglicherweise nicht mehr ganz zeitgemäß.

Teile dieser Maintainer-Gruppen treffen zudem vollkommen irrationale Entscheidungen hinsichtlich der Versionsqualität. Es scheint aber innerhalb des Projekt keine übergeordnete Idee zu geben, wohin man mit dem Projekt möchte und der sich die Maintainer unterwerfen müssen. KDE gibt beispielsweise für Plasma seit längerem LTS-Versionen heraus, zuletzt Version 5.12. Es würde Sinn machen, diese auch in einer Distribution mit Langzeitunterstützung zu verwenden – es sei denn man ist bei Debian. Dort nimmt man einfach die Version, die sich beim Freeze zufällig in Testing befindet und wirft sie den Desktopanwendern vor die Füße. Langfristige Pflege? Fehlanzeige!

Der Maintainer eines Pakets hat jedoch eine fast unanfechtbare Stellung. Seine Entscheidungen muss er kaum rechtfertigen – weder vor einer übergeordneten Projektleitung, noch vor den Anwendern.

Dogmatismus

Dies betrifft gleich das nächste Problem: Das Projekt wird vor allem durch rigide Umsetzung von Dogmen geprägt. Dazu gehört nicht nur die viel gescholtene Verbannung proprietärer Treiber, sondern auch der rigide Stabilitätswahn bei Paketen. Ist der Freeze einmal eingeleitet werden die Versionsstände nicht mehr angefasst. Fehlerbehebungen und unwichtige Sicherheitsaktualisierungen, die sich nicht in einen Patch packen lassen oder für die sich niemand zuständig fühlt bleiben bis zum Supportende ungelöst. Eine Debian-Veröffentlichung ist somit ein Glücksspiel, ob man selbst von schwerwiegenden Problemen verschont bleibt.

Den Debian-Entwicklern fehlt scheinbar in weiten Teilen die Fähigkeit oder die Zeit Fehlerbehebungen und Patches vernünftig zurück zu portieren, weshalb es einfach unterbleibt. Das betrifft natürlich nicht zentrale Bestandteile wie den Kernel, wohl aber viele Pakete im Desktopumfeld. Anstelle die Richtlinien hier aufzuweichen, wie das z. B. bei SUSE oder Red Hat geschehen ist, akzeptiert man einfach den Fehlerstand als gottgegeben.

Vielfalt und Ziellosigkeit

Debian will alles können und sein. Das Betriebssystem soll vom Smartphone bis zum Server auf jedem Gerät laufen. Das funktioniert auch leidlich, fühlt sich aber auf jeder Plattform lieblos an. Die Integration und Pflege der Desktopumgebungen changiert zwischen mittelmäßig und katastrophal, für den Servereinsatz sind hingegen die Supportzeiträume zu kurz. Für jeden denkbaren Einsatzzweck gibt es somit eine bessere Alternative.

Zusammengefasst

Debian ist keine durchweg schlechte Distribution oder gar unbenutzbar. Die Unabhängigkeit und Langlebigkeit des Projekts ist zudem ein wichtiger Faktor. Hat man sich mit Debian arrangiert, muss man vermutlich für lange Zeit keine Alternativen ausprobieren. Debian ist aber in keinem Einsatzbereich besser geeignet als die spezialisiertere Konkurrenz. Wer also damit leben kann nicht auf jedem Gerät – vom Smartphone bis zum Server – das gleiche System zu verwenden, ist mit konkurrierenden Distributionen in der Regel besser bedient.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. 12.Oktober.2021
    Hallo—Mein Name: M.Werner (Baujahr1943)

    Nun bin ich schon seit den Anfängen (ca. 1984) der Konsumer-PC-Zeit mit OSses einigermaßen vertraut, bin aber kein IT-Experte.
    Ich setze „nicht“ vorraus, daß jeder die Zeit von DOS-Installation und danach erst Windows-3 noch nachvollziehen kann, desshalb einige kleine Erinnerungen:
    Mein erster Computer war ein Tower mit 386 Intel-Prozessor, damals ein Spitzengerät für etwas über 3000 DMark (teuer, bei einem Netto-Durchschnittsverdienst/Monat meißt unter 1000,-DM), mit einer Festplatte von 80 MB (wörtlich „achzig“ Megabyte), einem Floppy-Laufwerk (noch die großen wabbeligen Dinger) ein VGA-Bidschirm mit eingebauten Lautsprechern und einer Maus an der Strippe.

    Mit diesem PC konnte man relativ viel anfangen, Spiele spielen, Texte verfassen, Musik abspielen, Graphiken erstellen, Filme abspielen uvm. Internet kam erst viel später, aber mit einem Modem (Übertragungsgeschwindigkeit 56KBit/s) oder Datenklo genannten Apparat (man konnte da den Telefonhörer draufstecken) eine MailBox betreiben.
    Viren und dergleichen Gaunereien gabs nicht, oder erst relativ wenig dergleichen.

    Schnell lernte man die 2 wichtigen Dateien, „autoexec.bat“ und „config.sys“ zu bearbeiten um wichtige Einstellungen vorzunehmen.
    Meine Festplatte war nach einem halben Jahr gestorben und mit der Garantie auf den PC konnte ich die umtauschen, mußte aber weil es keine 80MB mehr gab, 100,-DM drauflegen, für eine 90MB Platte (10MB kosteten damals also ca. 100,-DM!!, also etwa 50,-€).
    Erwähnenswert scheint mir, daß außer Internetnutzung und einige Schmankerl eigentlich für den PC-Konsumer nicht viel neues hinzugekommen ist, ja natürlich Sprachein – ausgabe, Brailltastatur ect. kosteten einiges extra.

    LINUX: Ich übergehe hier einige Jahrzehnte.
    Windows hatte sich sehr schnell zu einer Geldmaschine entwickelt und mit dem Internet kamen immer mehr Gefahren (Viren, Trojaner, Bots ect.pp) die zerstörerisch und Datenklau bewirken konnten. Ich suchte Alternativen: Mac war mir zu teuer, der Konkurrenzkampf zwischen Microsoft (Windows) und IBM (OS2) nervte, Linux hörte sich an wie Unix und sowas hörte sich sehr nach IT-Experte und Universitätsmaschine an, ich zuckte zurück, aber Anfang 2000 installierte ich (völlig neue Hardware) SUSE-Linux mit KDE. Das erschien mir sicherer als Windows-XP was ich im Dualboot auch weiter nutzte (war eines der besten OSses die Microsoft herrausbrachte) aber nicht fürs Internet. Bücher zu Linux gabs genug und so konnte man sich der Sache schnell nähern um mit Befehlszeile (Terminal genannt) umgehen zu können.

    ALLERDINGS, von Upgrade zu Upgrade auf neuere Versionen und Ausprobieren der verschiedenen Linux-Derivate, stellte sich herraus, daß die Programmierer mit der Zeit immer mehr die Einstellungs-Möglichkeiten versteckten.

    BEISPIEL: Ubuntu 16.04 LTS, hier konnte man noch alles mögliche einstellen, aber bereits die Nachfolge-Version 18.04 LTS erwies sich da schon in Richtung Abschottung der Einstellungsmöglichkeiten, schon der Systemstart verbarg sich hinter dem Grubeintrag „splash“ was ich dann auf „splash=nosplash“ änderte um zu sehn was sich da tat (habe bis heute nicht begriffen wer sich das ausgedacht und warum einer das verzapft hat, in einem OFFENEN System) die Aktualisierung und was dabei passiert wird immer mehr versteckt, in 16.04lts konnte ich alles genau verfolgen was geschah (ich weiß, daß man log-Dateien einstellen und einsehen kann), bei den folgenden LTS Versionen muß man explizit die Darstellung sichtbar machen und man sieht nur die Hälfte, der halbe Bildschirm bleibt unsichtbar obwohl er leer dargestellt wird, ob sich Programmierer auf diese Weise bei kommerziellen, wie Microsoft und anderen einschmeicheln wollen weiß ich nicht, aber „mein“ Verdacht bleibt daß es in dieser Richtung geht.

    Mein Kommentar könnte noch viel mehr Kritiken enthalten (snap und Co. wo man garnix mehr sieht, Software die man selber compilieren muß, weil sie nicht in fertigen Paketen verfügbar gemacht wird, neuerdings auch Hardware die vehindert, daß auf Windows vorinstallierten Systemen Linux schwieriger installierbar wird (siehe fest verbaute TPM-Chips, Paranoia und american greed, eine für Konsumer absolute Katastrophe), aber ich will ja kein Buch schreiben, sondern Denkanstöße geben.

    N.B.
    Anregung: Bei Ihnen sehe ich ja ihr Verfassungs Datum. Oft sieht man das Datum nicht wann ein Text verfaßt wurde. Finde das sollte zur Pflicht gemacht werden 😉

  2. KDE Plasma LTS wird nur 1,5 Jahre unterstützt. Die letzte LTS Version ist Plasma 5.18 vom Januar 2020. D.h. die ist schon längst über dem Zenit. Die nächste LTS müsste bald rauskommen.
    Daher hatte man in Debian 11 gar keine andere Wahl, als eine aktuellere Plasma Version, in dem Fall 5.20 zu verwenden, denn in Debian gibt es ja den Versionsfreeze, wo dann nichts aktuelleres mehr reinkommt. Man kann nicht während einer laufenden stable Version dann da völlig neue LTS Versionen reinpacken, wenn das dann viele weitere Pakete, die davon abhängen, über den Haufen wirft.
    Außerdem funktioniert die wesentlich besser mit Wayland.

    Das Problem wäre nur lösbar, wenn KDE die LTS Versionen mit dem Debian freeze synchronisiert.

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