Kommentar: Der ewige K(r)ampf – Grafische Verwaltungsprogramme unter Linux

Symbolbild "Ubuntu"

Die Diskussion um das Verhältnis der grafischen Oberfläche (GUI) zur Kommandozeile flackert in vielen Diskussionforen regelmäßig auf. Meist auf die Spitze getrieben von Puristen, die in grafischen Benutzerschnittstellen nur Ballast sehen und auf die Effizienz und Fehlerfreiheit der Kommandozeile schwören.

Grundsätzlich ist dies nicht einmal eine reine Linux-Diskussion. Auch andere Betriebssysteme wie macOS oder sogar Windows lassen umfangreiche Interaktionen im Terminal oder der PowerShell zu.

Während bei diesen beiden Betriebssysteme beide Schnittstellen als Ergänzung funktionieren beharren im Linux-Umfeld manche darauf, dass die grafische Benutzeroberfläche im Bereich der Systemverwaltung letztlich ein Risiko darstelle, da sie zu Fehlern führe, die sich dann nur auf der Kommandozeile beheben lassen.

Der Befund ist dabei noch nicht einmal grundsätzlich falsch. Tatsächlich gibt es in Foren zahllose Beispiele in denen – insbesondere bei systemnahen Operationen – die grafische Oberfläche versagte und schließlich zur Kommandozeile gegriffen werden muss. Paketverwaltung und Partitionierung sind hier regelrechte Klassiker.

Das liegt jedoch weniger an grundsätzlichen Mängeln grafischer Oberflächen, sondern vielmehr an strukturellen Mängeln grafischer Oberflächen unter Linux.

Wieder einmal muss man hier macOS als funktionierendes Gegenbeispiel heranziehen. Die grafische Programmverwaltung mittels App Store funktioniert sowohl zur Aktualisierung des Betriebssystem, sowie der Installation und Deinstallation der Apps vollkommen problemlos. Parallel dazu gibt es ein Kommandozeilenwerkzeug (softwareupdate), das sich beispielsweise für Automatisierungen eignet. Das gleiche gilt für systemnahe Werkzeuge wie das Festplattendienstprogramm, das sich auch mittels diskutil im Terminal nutzen lässt.

Ursächlich hierfür ist, dass Apple zielgruppenorientiert entwickelt und die normalen Benutzer nicht vernachlässigt. Nur ein kleiner Teil der Anwender zieht es vor ständig auf der Kommandozeile zu arbeiten. Grafisches Programm und Kommandozeile sind hier unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel – keine wird offensichtlich bevorzugt oder vernachlässigt.

In dieser Hinsicht waren vor allem die frühen Jahre von Ubuntu sehr förderlich für Linux auf dem Desktop. Endlich nahm sich ein Distributor des Problems an und versuchte hier die Lücken zu schließen. Rund um den GNOME Desktop entstand ein Set an Werkzeugen zur Verwaltung des Systems. Mit dem weitgehenden Rückzug von Canonical bricht diese Lücke wieder auf. Unzureichende Werkzeuge wie der halbfertige GNOME App Store sprechen da Bände.

Oftmals fehlt hier vor allem Kontinuität. Grafische Systemverwaltungsprogramme werden so schnell aus dem Boden gestampft, wie sie wieder beerdigt werden. Alle großen Distributionen haben in den letzten Jahren ein gutes halbes Dutzend an Paketverwaltungsprogrammen eingeführt und dann wieder ersetzt. Mit Flatpak und Snaps stehen hier sicherlich auch im grafischen Bereich schon wieder Umbrüche bevor. Insbesondere in einem so sensiblen Bereich muss der Anwender sich permanent auf etwas neues einstellen.

Unter vielen Linux-Entwicklern und -Distributoren scheint zudem die Idee vorherrschend zu sein, dass grafische Software nicht den gleichen Funktionsumfang haben kann, wie das Kommmandozeilen-Äquivalent. Anders kann man sich den funktionalen Reduktionsimus der App Stores kaum erklären. Ausnahmen wie das bewährte Synaptic für die Debian-Paketverwaltung werden kaum beachtet. respektive gepflegt. Selbst diese Basisfunktionen sind jedoch oft nicht hinreichend getestet. Schlicht weil die meisten Entwickler kaum selbst mit grafischen Schnittstellen arbeiten. So sind beispielsweise vor einiger Zeit zentrale Fehler in der grafischen Paketverwaltung Muon vor einem Release nicht aufgefallen, weil kein Kubuntu-Entwickler das Werkzeug nutzte.

Linux lässt sich deshalb bis heute nicht annähernd vollständig ohne die Kommandozeile bedienen. Entgegen der Behauptung, dass dies an ihrer allgemeinen Überlegenheit liege, ist hierfür vor allem die begrenzte Aufmerksamkeit für grafische Werkzeuge verantwortlich – sowohl durch Upstream-Entwickler, als auch Distributoren. Ob dies ein Problem darstellt, hängt von der Zielgruppe der jeweiligen Linux-Distribution ab.

Kurzum: Grafische Programme verleiten nicht zu Fehlern, sondern schlechte grafische Programme verursachen Fehler. Anstatt aber jeden auf die Kommandozeile zu verweisen, sollten gute grafische Alternativen empfohlen werden. Gibt es keine, sollte man zu einem/r anderen System/Distribution greifen.

Man sollte sich nämlich keinen Illusionen hingeben. Den meisten Anwendern jagt die Kommandozeile erst einmal Angst ein. Die weit verbreitete Annahme, dies ließe sich mal eben schnell aneignen, geht hier fehl. Die Lernkurve beim Linux-Umstieg ist so schon steil genug, mit einer Verpflichtung zum Einsatz der Befehlszeile steigt sie unnötig an.


Bilder:

Einleitungs- und Beitragsbild von guaxipo via pixabay

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.

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