Kommentar: Überwachung ist nicht gleich Tracking

In der Sicherheitsdebatte werden zwei Bereiche gerne miteinander vermengt, die eigentlich getrennt gehören: Staatliche Überwachung und das Ausspähen von Kunden-/Besucherdaten durch Unternehmen und Internetangebote.Viele Experten bzw. Bürgerrechtler differenzieren hier nur ungenügend, befinden sie sich doch in einem Abwehrkampf in beiden Bereichen. In Artikeln, Interviews und Informationsmaterialen erfolgt eine kontraproduktive Vermengung beider Aspekte.

Anfangs erscheint es naheliegend beide Bereiche zu verbinden. Grundlegende Schutzmaßnahmen wie Verschlüsselung und Datensparsamkeit greifen bei beiden Bedrohungsszenarien. Die Snowden-Veröffentlichungen legen zudem eine Kooperation großer IT-Konzerne mit den Sicherheitsbehörden im Rahmen von Programmen wie PRISM nahe. Maßnahmen gegen die IT-Konzerne und Beschneidung von Tracking im Internet sollen so mittelbar die staatliche Überwachung beschränken.

Hinter endet aber auch schon die Gemeinsamkeit. Die Möglichkeiten der Privatwirtschaft sind auf das technisch machbare (und juristisch erlaubte) beschränkt – auch wenn diese zunehmend wachsen. Durch die Meidung ihrer Dienste kann sich der Verbraucher der Datensammelwut wirksam entziehen. Zwar gibt es Menschen, die glauben ohne Google und Facebook nicht leben zu können – das alleine macht Überwachung durch die Konzerne aber nicht für alle anderen alternativlos. Mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen, Dienste-Abstinenz, Werbe- und Trackingblockern sowie modifizierten Browsern kann man zumindest gegenwärtig sein Profil noch immer verwischen. Gänzlich unsichtbar wird man allerdings nicht mehr werden – es sei denn man meidet konsequent den digitalen Raum. So gut sind die Trackingmaßnahmen immer noch nicht, dass ein Ausweg unmöglich wird. Die Open Source Gemeinschaft hat in vielen Bereichen längst funktionsfähige Lösungen für Clouddienste entwickelt und spezielle Dienstleister bieten vom Messanger über Videotelefonie bis zur E-Mail sichere Alternativen zu den großen Big Data-Konzernen. Als Betriebssystem getarnte Spionagesoftware wie Windows 10 verwenden eh viel weniger Menschen – sowohl quantitativ wie auch qualitativ, den sinkenden Marktanteilen im mobilen Segment geschuldet.

Staatliche Überwachung dringt dagegen deutlich stärker in das Leben der Bevölkerung. Einer Funkzellenabfrage kann man nicht entgehen, da hilft der älteste Nokia-Knochen ohne jedwede moderne Smartfunktionalität nicht.2 Überwachung durch Kameras auf öffentlichen Plätzen – demnächst möglicherweise ausgestattet mit leistungsfähiger Gesichtserkennung – betrifft jeden Menschen, der sich nicht auf sein Landgut in einem bevölkerungsarmen Bundesland zurückgezogen hat. Also quasi jeden! Flächendeckendes Anzapfen des Internetverkehrs und staatliche Spionagesoftware auf Betriebssystemebene unterhöhlt auch den sichersten Dienst – sofern der Staat Sicherheitslücken hortet.3

Die Absurdität der gegenseitigen Verflechtung beider Bereiche ergibt sich dadurch, dass eine Beschränkung der Möglichkeiten der großen IT-Dienstleister nur mittels staatlicher und suprastaatlicher Institutionen funktioniert. Die größte Hoffnung in diesem Bereich ist – ausgerechnet möchte man sagen – die Europäische Kommission, die bereits seit einigen Jahren die großen Internetmonopole ins Visier genommen hat.4 Genau jene Institution, die von einigen Mitgliedsländern gedrängt, seit Jahren kaum Datenschutz hinter den Erwartungen zurück bleibt.5

Trotzdem sollte man die beiden Bereichen differenzieren. Insbesondere wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie der Datenabschöpfung durch die großen Konzerne ausgeliefert sind, sinkt die Wahrscheinlich das die fortschreitende staatliche Überwachung als Problem wahrgenommen wird. „Google weiß doch eh schon alles“ ist das entschuldigende Statement einer tatenlosen Generation. Bürgerrechts- und Netzlobbyisten sollten den Kampf gegen staatliche Überwachung führen und nicht in parallelen Feldzügen beides bis zur Unkenntlichkeit vermengen. Vielleicht hat man dann auch mal ein paar Erfolge – denn in den letzten Jahren hat man hier trotz medial wirksamer Ereignisse wie der NSA-Affäre viel zu wenig erreicht.


1: Beispielsweise hier: Kuketz Blog – Zeit-Online: Wasser predigen und Wein saufen

2: Das Ausmaß ist gewaltig: netzpolitik.org – Funkzellenabfrage: Letztes Jahr landeten Handy-Daten aller Berliner alle elf Tage bei der Polizei

3: Wie jüngst im Wannacry-Fall: ZEIT ONLINE: Microsoft gibt US-Regierung Mitschuld

4: Beispielsweise Google: Heise.de – EU-Kommission: Google missbraucht mit Android seine Marktvormacht

5: Jüngst bei der ePrivacy-Novelle: netzpolitik.org – ePrivacy-Novelle: EU-Kommission bleibt beim Datenschutz auf halber Strecke stehen

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.

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