Jedem Linux-Nutzer wird schon das mal passiert sein: Freunde, Bekannte, Familienmitglieder interessieren sich für das freie Betriebssystem und würden gerne wechseln. Ich halte nichts von missionarischer Open-Source Predigt, aber bei ehrlichem Interesse informiert und hilft man eigentlich gerne.
Interesse für Datenschutz ist in Deutschland weit verbreitet und Windows 10 inzwischen bei halbwegs informierten Kreisen massiv in Verruf geraten. Windows 7 wird aber nur noch drei Jahre unterstützt und so mancher Anwender denkt da bereits über Alternativen nach.
Anforderungsprofil
Das Anforderungsprofil für den Desktop war so sehr am Mainstream orientiert, das es schon wieder lächerlich ist. Klassisches Fenstermanagement mit Fensterleiste/-symbolen, bei gleichzeitig modernem Design. Minimale Effekte auf Windows 7-Niveau wurden für die Optik schon gewünscht. Man wollte ja nicht zurück zu einem Windows XP-Niveau.
Das System sollte zudem möglichst wartungsarm und stabil laufen, am besten soll es keine Veränderungen für viele Jahre geben. Eben genau der Zustand, den Microsoft mit Windows bot.
Die Softwareauswahl war hingegen im höchsten maße Linux-Kompatibel, da bisher schon viel mit Open Source Lösungen gearbeitet wurde (vermutlich aus Kostengründen, aber die Motivation ist ja zweitrangig) Bisher wurde Apache OpenOffice, Firefox und Thunderbird genutzt. Das lässt sich mit leichten Abwandlungen (AOO gegen LO) bei jeder Distribution realisieren.
Distributionswahl
Schon die Auswahl der Distribution machte Schwierigkeiten. In Frage kommen eigentlich nur Enterprise/LTS-Distributionen. Rollende Entwicklungsmodelle funktionieren zwar zunehmend gut, könenn aber keinen statischen Funktionsumfang garantieren. Upstream-Änderungen schlagen naturgemäß mit kurzer Verzögerung beim Anwender ein.
Die Auswahl ist hier, trotz des eigentlich unüberschaubaren Distributionsdschungels, recht klein. Debian, Ubuntu und CentOS bieten Laufzeiten die mehrere Jahre abdecken. OpenSUSE Leap möchte sich zwar ebenfalls im LTS-Segment etablieren, erfordert aber für die mehrjährige Unterstützung Distributionsupgrades alle 12 Monate. Mangels konkreter Erfahrungswerte für diese Zwischenupdates entfiel openSUSE daher vorerst – das kann sich in ein paar Jahren natürlich ändern.
Bleiben Debian, Ubuntu (und Derivate) und CentOS. Die genaue Auswahl hängt dann vom gewählten Desktop ab, da Distributionen wie CentOS nicht alle Desktopumgebungen unterstützen.
Desktopauswahl
Die Zahl der verfügbaren Desktopumgebungen ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Insbesondere die Veröffentlichung von GNOME 3 hat hier die Entwicklung nochmal beschleunigt.
Die Anforderung war jedoch ein mehr oder minder klassischer Desktop. Damit fiel GNOME 3 weg, aber auch konservative Desktopumgebungen wie MATE und Xfce fielen durch, da sie letztlich eine Anwendererfahrung der XP-Zeit reproduzieren. Kurzzeitig hatte ich mit MATE + Compiz geliebäugelt, aber das Ende von Unity lässt begründete Zweifel an der Zukunft von Compiz aufkommen und ein totes Pferd zu empfehlen ist auch nie ratsam. Aus dem gleichen Grund entfiel auch Unity.
Bleibt Plasma 5, da sich hiermit ein klassischer Desktop reproduzieren lässt und radikale Veränderungen in naher Zukunft wohl nicht anstehen werden.
Desktop- und Distribution verbinden
Mit der Entscheidung für Plasma 5 waren CentOS und Ubuntu ausgeschieden. Kubuntu ist in 16.04 in einem grässlichen Zustand und eine STS-Version schied wegen der nur neunmonatigen Supportzeit aus. Da der Supportzeitraum für Debian Jessie nicht mehr ewig dauert und Stretch bereits eingefroren wurde, fiel die Wahl auf die aktuelle Debian Entwicklungsversion. Plasma 5.8 ist zudem in einem leidlich stabilen Zustand, problematische KDE-Anwendungen wie KDEPIM sollten sowieso durch Thunderbird & Co ersetzt werden.
Riesige Auswahl und keine Möglichkeiten
Linux präsentiert sich auf dem Desktop als Dschungel, der einem halbwegs versierten Anwender scheinbar unendlich viele Optionen präsentiert. Wenn man aber mit einem konkreten Anforderungsprofil (z.B. lange Laufzeit und klassisch-moderner Desktop) konfrontiert wird, schrumpft dieser Dschungel schnell auf ein Minimum zusammen. Um ein Haar wäre fast keine Option mehr übrig geblieben.
Der Linux-Missionar würde jetzt argumentieren, dass man halt seine Gewohnheiten ablegen muss und rollende Entwicklungsmodelle doch gar nicht so viel Kenntnis erfordern. Missionieren bringt aber nur selten zufriedene Nutzer, vor allem weil die Anforderungen selten irrational geäußert werden, sondern einer speziellen Erwartungshaltung (die natürlich von Windows geprägt wurde…) entspringt. Anwender, die man krampfhaft zu neuen Verhaltensweisen missioniert, werfen meist schnell frustriert hin und sind für den Linux-Desktop verloren. Enthusiastische Wechsler brauchen vor allem anfänglich schnell ein Erfolgserlebnis um dann (hoffentlich) in einem langen Lernprozess das System kennen zu lernen und eventuell irgendwann auch alte Windows-Gewohnheiten abzulegen.
Manchmal fragt man sich in dieser Situation, ob sich das Linux-Universum in tausenden Forks und Neuentwicklungen vollkommen verzettelt und den normalen Anwender irgendwo auf dem Weg verloren hat. Bei mehreren hundert Distributionen und einem halben Dutzend unabhängiger Desktopumgebungen sollte doch mehr als nur ein einziger halbwegs zukunftsfähiger Desktop/Distributionsmix bei herauskommen.
Was hättet ihr in dieser Situation empfohlen?