Testberichte gibt es beim Erscheinen neuer Linuxdistributionsversionen wie Sand am Meer. Meistens zieht der Blogger oder Redakteur schnell eine VM auf und lässt die Installation durchlaufen um danach ein paar Versionsnummern und eine subjektive Nutzungserfahrung in den Artikel zu schreiben. Sowas habe ich hier natürlich auch schon fabriziert.
Die Stärken und Schwächen einer Distribution sieht man jedoch oft erst im Langzeittest (zumindest über eine Woche) auf realer Hardware. OpenSUSE 13.2 läuft nun seit fast 4 Wochen auf mehreren Systemen und es ist Zeit eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen. Oberflächlich ähneln sich viele Distributionen, zumal wenn man immer auf dieselbe Desktopumgebung zurückgreift. Unter der Haube zeigen sich aber die Unterschiede – vor allem, wenn man sehr lange nur Debian und seine Derivate eingesetzt hat.
Was ist wirklicher grüner beim Gecko
YaST ist das Alleinstellungsmerkmal von openSUSE und das vollkommen zurecht. Bei jeder neuen Version von openSUSE wird die erneute Optimierung von YaST erwähnt und inzwischen trägt das Früchte. YaST verhält sich auch unter schwächerer Hardware (Intel Celeron mit zwei Kernen 1,5 Ghz, 4 GB RAM, herkömmliche HDD) sehr reaktionsfreudig. Die verschiedenen YaST-Werkzeuge lassen einen bei der Administration des Systems nie im Stich und bieten einem ein umfangreiches Repertoire an Optionen an. Wer jahrelang bei jedem Partitionsvorgang mit dem KDE-Partitionsmanager zitterte, erlebt das als angenehme Abwechslung. das übersichtliche Verwalten von BtrFS-Snapshots mit YaST-Snapper oder das schnelle an- und abschalten von systemd-Diensten ist einfach angenehm. Den eiskalten Konsolenakrobaten holt das natürlich nicht hinterm Ofen hervor, aber wer gerne mit grafischen Programmen arbeitet, hat mit YaST ein echtes Argument für openSUSE – auch auf den zweiten Blick.
Die Abhängigkeitshölle und SUSE waren lange Zeit zwei Seiten derselben Medaille. Entsprechend vorsichtig ging ich an meine ersten Gehversuche mit RPM vor einigen Wochen. Vollkommen unnötig wie sich herausstellte. Zypper und das zugehörige YaST Frontend haben die Paketverwaltung selbst in schwierigen Situationen (Fremdarchitektur, verschiedene Paketquellen, objektiv unlösbare Abhängigkeitskonflikte) gut im Griff und schaffen es fast immer mindestens eine funktionsfähige Option anzubieten. Meiner Meinung nach ist zypper und RPM inzwischen sogar noch stabiler als APT und dpkg, denn langjährige Supporterfahrung bei Debian und seinen Derivaten lehren, dass APT insbesondere bei Multiarch oder (falschem) Pinning in die Knie gehen kann.
Ebenso ist die mangelhafte Multimediaunterstützung von openSUSE Schnee von gestern. Die Standardinstallation von openSUSE basiert auf gstreamer 1.0 und die zugehörigen Good, Bad und Ugly Plugins finden sich ähnlich wie bei Debian & Co in den Paketquellen. Packmann oder ähnliches sind nicht mehr vonnöten.
Die KDE-Integration ist weiterhin absolut vorbildlich. Damit ist weniger die allgemeine Paketierung und Anzahl von KDE-Programmen in openSUSE gemeint, denn das ist bei Kubuntu und Debian auch vollkommen in Ordnung, sondern viele kleine Extras, die einem das Leben einfacher machen. Die Pixelhöhe bei der Anpassung der Plasma-Leisten, die Unterkategorien im K-Menü, die individuellen Plasmathemes. All das gibt einem als KDE-Nutzer nicht mehr das Gefühl, das fünfte Rad am Distributionswagen zu sein, sondern eine wirkliche KDE-Distribution zu erhalten. Wer natürlich seine Software am liebsten so ausgeliefert bekommt, wie sie von Upstream entwickelt wurde, ist mit openSUSE falsch bedient. Das im laufenden Distributionszyklus die KDE-Integration der LibreOffice-Dialoge durch ein Update entfernt wird, weil es niemand bemerkt hat, so wie kürzlich bei Kubuntu 14.04 LTS geschehen, scheint bei openSUSE jedoch schwer vorstellbar.
Das Schriftbild ist eine komplexe Sache, jeder der mehrere Geräte sein Eigen nennt weiß, dass hier objektive Beobachtungen sehr schwierig sind. Dennoch würde ich behaupten, dass das Schriftbild unter KDE bei openSUSE im Durchschnitt besser ist, als bei anderen Distributionen. Hier wurde seit 12.3 viel Feinarbeit vorgenommen und die Einstellungen angepasst. Das kann aber je nach Displaygröße und -auflösung, sowie den individuellen Gewohnheiten und Sehfähigkeiten variieren.
Endet die Lobeshymne auch noch?
Ja tut sie! Einige Baustellen und aus debianoider Sicht ungewohnte Verhaltensmuster finden sich bei openSUSE.
Während Gnome und seine Forks keine Systemeinstellungen haben, die diesen Namen auch wirklich verdienen, hat KDE bereits eine Fülle von Einstellungsmöglichkeiten mit dem Anspruch das komplette System zu regulieren. YaST tritt hier teilweise in Konkurrenz zu diesen Einstellungen. Die YaST-Softwareverwaltung vs. Apper, YaST-Druckerverwaltung vs. KDE-Printmanager usw. usf. Bei einigen ist das vollkommen unproblematisch und man kann einfach beide Werkzeuge nebeneinander benutzen, bei anderen kann das zu unterwünschten Nebenffekten führen. Warum openSUSE hier nicht konsequent auf die eigene Verwaltungssuite setzt, wissen wohl nur die Entwickler. Zumal beispielsweise Apper keineswegs besser als die Softwareverwaltung von YaST ist oder weniger Fehler verursacht. Hier lohnt es sich ggf. schon bei der Installation einige Verwaltungswerkzeuge wegzulassen. So kann man z.B. Apper und PackageKit bei der Installation abwählen, da dies kein direkte Abhängigkeit von KDE ist.
RPM kennt seit kurzem auch so genannte weiche Abhängigkeiten, wobei openSUSE das schon länger implementiert hat. Diese sind ein Äquivalent zu den “recommends” bei Debian und seinen Derivaten. Das funktioniert noch nicht wirklich gut. So kann ein Update von udev-configure-printer einen halben Gnome-Desktop auf die Festplatte ziehen, wenn man nicht aufpasst. Ein vollkommen automatisiertes Update ist also keine gute Idee, wenn man auf ein halbwegs aufgeräumtes System wert legt.
OpenSUSE benennt die Pakete zudem konsequent nach den Upstream-Vorgaben, während Debian hier systematischer vorgeht. Das ist gerade anfangs verwirrend. Während z.B. alle KDE-Administrationswerkzeuge bei Debian nach dem Schema kde-config-xyz benannt werden, können diese bei openSUSE kde-gtk-style oder synaptiks heißen. Daran gewöhnt man sich aber sehr schnell. Deutlich angenehmer ist, dass openSUSE die Pakete nicht in tausend Unterpakete atomisiert zerlegt, weshalb es einfacher ist bei Drittpaketen die notwendigen Abhängigkeiten manuell zu installieren. Welchen Sinn es macht, ein Quellcodepaket in ~10 Pakete zu zerlegen, die sich durch ihre Abhängigkeiten alle gegenseitig anfordern, hat sich mir nie erschlossen.
Beim Punkt Paketquellen ist aber auch zu erwähnen, dass die Paketquellen von openSUSE nicht so umfangreich wie bei Debian & Co sind. Das hat Vor- und Nachteile: Die Programme, die sich in den openSUSE-Paketquellen finden (und das ist mehr als 99% der Anwender brauchen) sind gut gewartet und auf dem aktuellen Stand (das war nicht immer so!), aber wenn man Spezialprogramme benötigt muss man relativ schnell Drittquellen hinzufügen. Dafür gibt es bei openSUSE den OBS und dort findet sich wirklich alles. Hier ist eine durchdachte Priorisierung der Paketquellen sinnvoll, die sich natürlich in YaST bequem durchführen lässt. Auch einer dieser Pluspunkte. Wie sich das auf ein eventuelles Distributionsupgrade im nächsten Jahr auswirkt, muss man jedoch dann sehen. Transfererfahrungen mit Kubuntu und vielen PPA’s lassen einen da nicht zu sehr hoffen.
Schlusspunkt
Seit meiner Abkehr von Debian als Allzweckwaffe für Server, Desktop und Notebooks habe ich ein “Distributionshopping” hinter mir, das seit meiner Anfangszeit mit Linux seinesgleichen sucht. Hoffentlich endet der kleine Exkurs diesen Blogs in die Untiefen der Distributionsberichte nun hier.
Bleibt es nun bei openSUSE? Auf einigen Systemen vorerst ja, sofern zu den geschilderten Problemen keine gravierenden hinzutreten. Für andere Systeme ist openSUSE nicht die beste Wahl. Es hat eben nicht den universalen Debian-Ansatz. Anstelle einer Distribution auf allen Geräten, läuft nun auf jedem Gerät die Distribution, die am besten zu den Anforderungen passt. Für KDE und den Desktop erscheint mir openSUSE als gute Wahl, jedenfalls sofern keine Supportzeiten von ~5 Jahren gefordert sind.
Besonders interessant als KDE-Anwender ist der OBS. Denn dieser bietet vorläufig eine Antwort auf die Frage, wie man als KDE-Nutzer den Spagat zwischen eingefrorenem KDE SC 4 und aktueller Drittsoftware meistern soll, während Plasma 5 noch nicht ausgereift ist.
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