Was bleibt vom missionarischen Eifer?

Viele Linux-Anwender haben einen gewissen missionarischen Eifer, ihre Erleuchtung in die Welt zu tragen. Doch entstehen dadurch neue mündige Linux-Anwender oder nur Abhängigkeiten?

Die ideologische Überhöhung von FOSS, die das Selbstverständnis, ein besseres System zu nutzen, das Verlangen nach dem Gang durch die Wüste nun auch andere in den Genuss der Erfahrung zu bringen – was es auch immer ist: Viele Linux-Anwender neigen dazu wie Wanderprediger um die Häuser zu ziehen und andere Anwender von dem System zu überzeugen. Deutlich mehr als Windows- oder macOS-Nutzer, die den armen Linux-Anwendern auch nicht andauernd die Segnungen ihres Systems aufdrängen möchten.

Kürzlich war ja der 30. Geburtstag von Linux und im Internet gibt es gerade zig lustige und unterhaltsame Geschichten, wie man selbst zu Linux gekommen ist. Das ist spannend, aber auch irritierend. Denn oft ergänzen Geschichten, wie man die Familie, die Oma und den Hund gleich mit gesegnet hat.

Mich würden da mal wirklich ehrliche Erfahrungen interessieren. Sind dadurch mündige Linux-Anwender entstanden oder letztlich nur von euch abhängige Netzwerke und diese kleine Linux-Nutzergemeinschaft würde in dem Moment erodieren, in dem ihr nicht mehr da seid oder vielleicht selbst das Betriebssystem wechselt?

Ich bin solchen Vorhaben, Linux anderen aufzudrängen, sehr kritisch gegenüber eingestellt. Aber vielleicht sehe ich das auch völlig falsch?

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.
  1. Ich zeige Interessierten was mit GNU/Linux möglich ist und weise auch auf Unzulänglichkeiten hin. Aber ich missioniere keinen. Die Entscheidung muss jeder selbst für sich treffen. Viele wollen es ja versuchen, jedoch nur mit MfS-Office. Dann empfehle ich gleich bei Windows zu bleiben.

  2. Also meine Familie (Frau, K1, K2) nutzen Linux genau so selbstverständlich (und ohne Probleme) wie Windows 10 (oder iPad OS). Die nutzen auch genau so selbstverständlich Firefox wie Chrome oder LibreOffice wie MS Office wie Google Docs / Spreadsheet. Weil: es muss einfach nur funktionieren, was man im “normalen” Privatleben so braucht. und da spielt das darunterliegende OS IMHO fast keine Rolle.
    Um die Administration der Systeme kümmere ich mich. Wobei das auch nicht wirklich Arbeit ist, Auf unserem ThinkPads läuft und aktualisiert sich Linux genau so gut wie Windows.

  3. Aloha,

    ja zu meiner Schande muss ich gestehen, das ich auch einer der “FOSSerleuchteten” war und das leider heute immer noch ab und zu durchschlägt.
    Bis auf meine Frau und Schwiegermutter ist niemand bei Linux geblieben.Den beiden muss ich sowieso in technischen Dingen häufig helfen. Die Rechner administriere ich also sowieso egal welches OS.
    Sonst sind alle von Linux bis Jabber von meiner “Heilsbotschaft” abgefallen.
    Die Idee hinter FOSS hat mich total begeistert und wollte meinem Umfeld halt was Gutes tun. Durch die Echokammern im Internet wurde ich regelrecht radikalisiert. Damit setzte dann auch ein Missionierungseifer ein. Durch die ganzen Datenschutzthemen hält sich das auch ziemlich lange.

    Ich stimme dir zu ,Missionierungseifer ist immer fehl am Platz und hat in diesem Fall auch mal wieder gar nichts gebracht.

    Schöne Grüße
    Imp

  4. Ich war in Sachen Linux nie missionarisch. Ich habe Leuten lediglich bei Interesse erklärt, warum ich es gegenüber Windows u/o MacOS bevorzuge. Wenn Leute dann selbst auf die Idee kamen, es mal auf einen Versuch ankommen zu lassen, habe ich gerne geholfen.

    Meinen Eltern hatte ich seinerzeit Ubuntu installiert und ihnen eine nutzbare Oberfläche eingerichtet. Damit liefen sie kaum noch Gefahr, auf irgendwelche Malware und sonstige Unbill hereinzufallen. Um den PC hatte ich mich dann aber auch gekümmert und ihn immer schön aktuell gehalten.

  5. Hier in meinem Umfeld sind eine ganze Menge Leute privat bei Linux geblieben (Kinder, Ex-Frau, Eltern und Freundin, polnische Nachbarn). Mac OS X läuft hier und dort auch, auf alten MacBooks.
    Verzeih den Einwurf: konstruierst Du Phantomschmerzen, um Leute zu triggern, oder geht es speziell um etwas, das Dich umtreibt?

  6. >>> unsachlich und nur subjektiv beleuchtet, außerdem mit Annahmen überfrachtet die nicht belegbar sind
    >>> herzlichen Dank dafür 🙁

  7. Da ich mich bei meinen Eltern sowieso um die Administration des Rechners kümmere, hab ich sie vor die Wahl gestellt. Entweder Ubuntu und ich kümmere mich oder was anderes und ihr macht es selber. Seit 2014 läuft das ganze und es gibt vilt. einmal im Jahr ein Problem. Es wird aber auch nichts anderes gebraucht als eine Textverarbeitung, da ist der Umstieg von Word -> LO geglückt, ein Browser und ein bisschen Foto-Verarbeitung. Für mich ist Ubuntu langfristig deutlich einfacher zu administrieren als Windows (MacOS stand nicht zur Wahl). Ja, das war missioniert, weil ich von dem freien OS überzeugt bin. Aber auch ja, es würde vermutlich nicht weitergeführt, wenn ich selber nicht mehr für die Administration da wäre.

    Allerdings gilt auch: Die große Masse der Nutzer werden doch nicht mündiger, nur weil sie sich gegen Linux und für Windows oder MacOS entscheiden. Dann und wann muss auch wieder jemand um das OS kümmern, der sich damit auskennt (“mündig ist”), oder es wird halt direkt neue Hardware mit OS angeschafft und so das Problem “gelöst”. Mündig würden die Nutzer doch nur, wenn Sie bereit dazu wären sich mit dem System (egal welcher Hersteller) auseinanderzusetzen und es nicht nur “zu nutzen”. Tut doch fast keiner. Deshalb haben wir doch die Miesere, “alles in die Cloud”, “CSAM”, “Werbetracker”, etc.

  8. Hei,

    ich habe ganz Gegenteilige Erfahrung.
    1. Habe vor vielen Jahren schon gelernt, dass ich keinen von irgendwas überzeuge, denn vorher hatte der Computer des anderen Fehler. Nach der LInuxinstallation liegt alles an Linux, selbst das vergessene Mailpasswort “ist das Linux schuld”. Die Verantwortung möchte ich nicht immer tragen.

    2. Mainstreamer (Windows, Mac, Whatsapp, usw.) Missionieren sehr stark, sehr unreflektiert und mit sehr klaren Worten. “Freie Software taugt nix”, “Whatsapp ist das Beste” (keine Aspekte, was zu dieser Beurteilung führt, aber eine feste und laute Meinung.

    Daher möchte ich dir aus meiner Erfahrungwert widersprechen, dass Linuxuser mehr Missionieren, als andere. Es kommt mir im Gegenteil so vor, als gäbe es viele Menschen, die sehr unreflektiert, das was sie haben (ja, vielleicht auch Linuxuser) als “das Beste” abstempeln, ohne eine höhere Ebene der Aspekte oder des Wissens erreicht zu haben.

    Grüße Thoys

  9. Ich gehöre nicht zu den Eiferern, aber durchaus zu den Enthusiasten, die Linux als Alternative auf dem Desktop immer angepriesen haben. Eine potentielle Migration habe ich ganz eigennützig als Lernprozess betrachtet. Deswegen gab es für die Leute dann auch Full-Service: Also Evaluierung, Testphase und Support bis hin zur Wiederherstellung des Windows-Zustands. Alles andere wäre meiner Meinung nach eine Zumutung!

    Was ist von meinen Migrationen in den letzen 15 Jahren geblieben? Tante Erna hatte ich – entgegen deiner Behauptung es gäbe sie nicht – mehr als eine, aber diese Gruppe ist mir fast vollständig abgewandert auf Smartphones und Tablets. Was mir für deren begrenzten Anwendungsfälle auch zeitgemäß erscheint. Andere haben Linux nur bis zum nächsten neuen Gerät verwendet, aber aus diesem Lager haben sich nicht wenige für die kostspieligere Anschaffung eines Macs entschieden. Nach eigener Aussage fühlte sie sich mit Linux nicht so richtig wohl, wollten aber auch nicht zurück zu Windows. Bei Linux geblieben sind bis heute tatsächlich nur wenige, aber die sind eben immer noch zufrieden. Hilfe brauchen die alle noch unabhängig von Endgerät oder Betriebssystem. Aber sonst wären wir auch nie zusammengekommen 😉

    Sofern die Anwendungfälle kein unüberwindbares Hindernis darstellten, habe ich in meinem Umfeld noch den Aspekt beobachten können, dass eine grundsätzliche Bereitschaft vorhanden war, wenn die Leistungsklasse der Geräte nicht mehr ganz zeitgemäß war. Ob man das jetzt unbedingt „Nachhaltigkeit“ nennen möchte, sei dahingestellt, aber den Grundgedanken „Warum was neues kaufen, wenn das noch tut?!“ war mehrfach zu vernehmen. Wie gesagt, mag an meinem Umfeld liegen. Aber von denen, die heute noch Linux benutzen, fahren alle deutlich ältere Hardware. Das älteste Gerät in meiner Pflege ist ein Thinkpad T61 (Jahrgang 2007, inzwischen mit SSD). Könnte ich mir selber absolut nicht mehr für den Produktiveinsatz vorstellen, aber der Benutzer ist bis heute glücklich damit.

    Lassen sich daraus Erkenntnisse im Kontext dieses Artikels ableiten? Eher nicht. Ohne rücksichtslosen missionarischen Eifer oder völliger Blauäugigkeit kommt man nicht auf die Idee, Linux irgendeine uneingeschränkte Alltagstauglichkeit anzudichten. Auf der anderen Seite führt jede sorgfältige Migrationbemühung früher oder später mal zu irgendeiner Erfolgsgeschichte.

    • Danke für deinen ausführlichen Kommentar.

      Nur eine kleine Randbemerkung:
      “Was ist von meinen Migrationen in den letzen 15 Jahren geblieben? Tante Erna hatte ich – entgegen deiner Behauptung es gäbe sie nicht – mehr als eine, aber diese Gruppe ist mir fast vollständig abgewandert auf Smartphones und Tablets.”
      Und genau dehalb meinte ich ja, dass es sie nicht gibt. Jedenfalls nicht als Zielgruppe für PCs im Allgemeinen und Linux im Speziellen. Vor 2010 sah das natürlich noch anders aus.

      • Danke, das war mir bei dem Artikel durchgerutscht: Der Teil mit dem iPad auf dem Sofa, weil kein Schreibtisch.

        Schreibtische gibt es bei dieser Zielgruppe echt nicht, das sind in der Regel Küchen- oder seltener auch die Esszimmertische – damals wie heute. Und wenn ich gerade mal überlege wie viele mit dem iPad aus dem Abo der Tageszeitung abgewandert sind … Gut, inzwischen kriegt man überall ein Tablet dazu. Aber es ist schon bezeichnend, wie treffend deine Beschreibung eigentlich auch in meinem Umfeld war.

  10. Im Jahr 1999 habe ich mit SUSE angefangen und die nächsten 10 Jahre missioniert was das Zeug hält und “Windoooofs” mit just dieser Bezeichnung schlecht geredet. Übrig geblieben sind aus dieser Phase lediglich meine drei Töchter, die aber allesamt im beruflichen Umfeld auch Windows nutzen müssen. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass das Gegeneinander nicht hilft. Diese Erkenntnis hatte offenbar dann ja auch Microsoft. Mittlerweile lasse ich genießend und schweigend über Linux kein Wort mehr fallen. Aber: kann bei so wenig Eifer des Durchschnittsusers Linux insbesondere auf dem Desktop dauerhaft überleben? Und woraus schöpfen die Entwickler ihren Enthusiasmus? Hat der Linux Desktop wirklich eine Zukunft?
    Jedenfalls, lieber Gerrit, lese ich deine Posts alle und sehr gerne. Und bis der Linux Desktop untergeht, werden hoffentlich noch viele Posts von dir veröffentlicht.
    Einen herzlichen Gruß

  11. Das ich gezielt missioniert hätte, kann ich nicht sagen. Es hatte sich in der Firma ergeben, dass für die wachsende Menge an eingesetzten PCs nicht ausreichend Windows-Lizenzen verfügbar waren und darum Mitte der 90er auf div. Linux-Varianten ausgewichen wurde.
    Dabei zeigte sich, dass a) für den [von uns benötigten] allgemeinen Bedarf Linux alles mitbrachte, was nötig war (Textverarbeitung, Datenbanken; später kamen GIS und Internetnutzung hinzu) und b) Anfängern, welche nicht durch „Vorkenntnisse“ mit Windows bzw. hauptsächlich Word voreingenommen waren, ohne weiteres mit den Linux-Programmen zurecht kamen.
    Wie viele von den mehrere Tausend zeitweiligen Mitarbeitern danach bei Linux geblieben sind, kann ich nicht einschätzen – von einigen wenigen weiß ich es jedoch mit Bestimmtheit.
    Die Kinder sind mit Windows groß geworden, aber irgendwann wegen der ständigen Probleme zu Suse, Kanotix, Knoppix u.ä. gewechselt und am Ende bei Ubuntu (LTS) geblieben. Der Hauptbeweggrund war in der Regel, dass man ein stabiles System bekommt, dass alle benötigten Programme (und möglichst in vertrauter bzw. übersichtlicher Anzahl) mitbringt. Dieser Anspruch ist sicher für jeden spezifisch, weshalb es auch sinnlos ist, allen ein Linux aufschwatzen zu wollen.
    Man sollte es die Leute ausprobieren lassen, wie meine Partnerin, die ein geerbter Windows-Laptop mit viel zu viel unbenötigten Programmen und den seinerzeitigen Abstürzen überforderte. Seit mehr als 10 Jahren kommt sie nun mit Ubuntu zurecht. Das dass ein Linux ist, ist ihr egal.

  12. Tatsächlich bin ich während des Studiums durch so einen missionierenden Mitbewohner zu Linux gekommen. Er hat es zwar nicht mehr mitbekommen, nach dem er mich mit Suse Linux “zwangsbeglückt” hat, habe ich das System, auf dem nichts von meinen Programmen außer eine Office Paket so richtig lief, schnell wieder runtergeworfen. Er hat aber generell mein Interesse am schrauben am System (Soft und Hardware) und diesem völlig freien OS geweckt. Später, als wir uns schon aus dem Augen verloren haben, habe ich immer mal wieder mit Suse Boxen und später Knoppix live Systemen mit Linux experimentiert.
    Ohne schnelles Internet und ein Verständnis der Paket Verwaltung war es niemals Alltagssystem praktikable, aber irgendwann hat es mit Ubuntu klick gemacht, inzwischen nutze ich privat ausschließlich Linux.

    Selbst habe ich dann bei meine Eltern auch mal Missionierungsversuche gestartet, da ich da eh Systemadmin war. Das war aber nicht erfolgreich, die waren eben auch beide nicht Tante Erna, und Lust am System zu basteln hatte sie schon gar nicht. Windows funktioniert für sie einfach besser und macht tatsächlich auch weniger Probleme. Und wenn das System zu langsam wird, wird halt ein neuer Rechner gekauft, funktioniert für alle besser.

    Missionieren würde ich inzwischen niemanden mehr, im Gegenteil, ich warne durchaus eher vor den Nachteilen, weil ich nicht verantwortlich für den Frust sein will. Bei Interesse in meinem Umfeld würde ich aber gerne Unterstützung leisten (gibt es nur nicht), und evtl. sind irgendwann meine Kinder doch noch mal Opfer oder kriegen zumindest einen Raspberry zum basteln, ob sie wollen oder nicht :D.

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