Diskussionen über Office-Suiten entwickeln oft einen Nebenstrang zu LaTeX. Von seinen Anhängern gefeiert als die einzige professionelle Lösung für wissenschaftliches Arbeiten. Dabei überschätzten sie die Bedeutung und Verbreitung von LaTeX und unterschätzen die Leistungsmerkmale moderne Office-Suiten.
Im Bereich der freien Software werden Diskussionen über Office Suiten gerne von LaTeX Anwender übernommen mit dem Verweis, dass kein professioneller Anwender mit einer herkömmlichen Office Suite arbeiten würde und LaTeX die einzige professionelle Lösung sein. Texte, Präsentationen – LaTeX wäre die Lösung.
LaTeX-Anwender führten meist einige Kernargumente an:
- Die Lernkurve ist steil aber danach kann man wirklich effizient und schnell arbeiten.
- LaTeX ist in der Wissenschaft weit verbreitet.
- LaTeX steht plattformübergreifend zur Verfügung.
- LaTeX sieht schöner aus, weil es ein richtiges Textsatzprogramm ist.
- LaTeX ist technisch überlegen, da einmal gesetzte Dokumente auf alle Ewigkeit gleich aussehen und somit quasi ewig erhalten bleiben.
Richtig ist hier nur ein einziger Punkt und zwar der letzte. Punkt 4 ist subjektiv, darüber kann man schlecht streiten. Alles andere ist schlicht komplett falsch oder ignoriert Probleme.
Ein Basisproblem ist meist schon, dass die meisten LaTeX-Anwender von Office-Suiten so wenig Ahnung haben wie umgekehrt. Während die meisten Office-Enthusiasten sich aber kein Urteil darüber erlauben, was LaTeX kann oder nicht, scheint umgekehrt keine Scheu vorhanden zu sein. Schließlich ist Office etwas für Idioten. Schon simple Sachen wie Formatvorlagen in Office sind vielen LaTeX Anwendern oft unbekannt, von weiterführenden Funktionen ganz zu schweigen. Etwas überspitzt gesagt: Die Art, wie LaTeX-Anwender Office verwenden, ist in der Tat ungeeignet für professionelles Arbeiten.
Nun aber zurück zu den Argumenten:
Die Behauptung nach einer steilen Lernkurve wäre man mit LaTeX effizienter und schneller, ist inzwischen widerlegt. Darüber berichteten Wissenschafts-Blogs bereits vor einigen Jahren. Natürlich kann man die kleine Studie kritisieren (was auf Twitter auch ausgiebig geschah und eine Reaktion der Autoren auslöste), da die Zahl der Probanden vermutlich nicht repräsentativ genug war und es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Fächern gibt. Fakt ist aber auch, dass es bisher keine gegenteilige Studie gibt.
Die Verbreitung in der Wissenschaft ist ebenso ein Mythos, der aus einer maßlosen Selbstüberschätzung einiger weniger Fächer aus der MINT-Gruppe stammt. In der Informatik, bei den Physikern und einigen anderen Naturwissenschaften (aber nicht allen) ist LaTeX der Quasi-Standard. Je mehr Formeln, desto eher LaTeX kann man als Richtlinie nehmen. In den allermeisten Wissenschaftszweigen (Gesundheit, Sozial- und Geisteswissenschaften, Jura, Wirtschaftswissenschaften etc. pp.) spielt LaTeX eine absolut untergeordnete Rolle. Kollaboratives Arbeiten bedeutet hier meist Word mit Änderungsverlauf und nicht LaTeX mit Git. Spätestens wenn man Print-Publikationen benötigt, ist LaTeX mehr Hindernis denn produktives Hilfsmittel. Es hat eine gewisse Ironie, dass das angeblich so famose Textsatzsystem LaTeX bei vielen Verlagen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ich würde sogar behaupten, dass InDesign wichtiger als LaTeX ist. Die meisten Verlage wollen eine OOXML-Datei, viele nehmen auch PDF-Dateien, weshalb natürlich auch LaTeX Anwender publizieren können, aber diese Hindernisse zeigen schon, wie wenig faktenbasiert das Argument der Verbreitung von LaTeX in der Wissenschaft ist.
Bei der plattformübergreifenden Verfügbarkeit sieht es hingegen ganz gut für LaTeX aus. Kaum ein Betriebssystem wird nicht unterstützt. Aber auch hier verliert man Boden, denn es macht nicht wirklich Spaß, ein LaTeX Dokument auf einem Smartphone oder Tablet zu betrachten oder gar zu bearbeiten. Diese Geräte sind auch nicht für professionelles Arbeiten gemacht, werfen hier viele als Argument ein. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass diese Geräte seit Jahren zu den Wachstumsbereichen für Office-Suiten zählen (außer natürlich bei LibreOffice).
Bleibt der Punkt mit dem Aussehen. Ein gut designtes LaTeX-Dokument sieht in der Tat besser aus als die meisten Office-Ergebnisse. Details wie Zeilenumbrüche & Co funktionieren tendenziell besser. Nur ist das eigentlich bedeutungslos, da der Autor bei Print- und Onlinepublikationen selten die Hoheit über das Layout hat, sondern meist nur die Textbasis liefert.
Natürlich kann man mit LaTeX tolle wissenschaftliche Ergebnisse produzieren. Es ist letztlich nur ein handwerkliches Mittel zum Zweck. Es gibt große Wissenschaftler, die bis in die Gegenwart überragende intellektuelle Leistungen per handschriftlichem Manuskript vollbringen – etwas, das sich die heutige Generation sicherlich nicht mehr vorstellen kann. Letztlich sollte man also das Werkzeug nutzen, das den eigenen Workflow am besten unterstützt.
LaTeX-Anwender sollten nur dringend von ihrem Podest heruntersteigen. Es entbehrt jeder argumentativen Grundlage.
Änderungen:
Kürzung zum LibreOffice-Teil. Gedankengang ist in einen eigenen Artikel ausgelagert: Kommentar: Der Stand von LibreOffice