Kommentar: Stockholm Syndrom unter Bloggern

Die DSGVO ist seit einiger Zeit ein Dauerbrenner in vielen Blogs, immerhin betrifft sie auch viele Anbieter. Teilweise darf man da interessanten Gedankengängen folgen, die direkt aus der Presseabteilung einer Silicon Valley-Firma kommen könnte.

Manche Kritikpunkte kann man nachvollziehen (siehe auch: Kommentar: DSGVO – Das Spannungsfeld von „gut gemeint“ und „gut gemacht“). Die Verordnung schmeißt Blogger mit Internetgiganten in einen Topf und die deutsche Bundesregierung hat wenig bis nichts gemacht um im Vorfeld ordentlich zu informieren und gewisse Missstände, die in Kombination mit der DSGVO Ängste auslösen, abzustellen (Stichwort Abmahnung). Juristen, Berater und natürlich auch NGOs wollen die gegenwärtige Aufmerksamkeit natürlich in ihrem Sinne nutzen.

Trotz allem ist bei den meisten Autoren relativ unstrittig, dass die DSGVO im Kern eine gute Sache ist. Europa positioniert sich klar für Datenschutz und die kommende ePrivacy-Richtlinie wird hier noch einmal die Kriterien klar machen. Den Wildwest-Methoden der vorwiegend amerikanischen IT-Giganten werden hier Grenzen aufgezeigt und Verbraucherrechte gestärkt. Der Digitalwirtschaft passt das natürlich teilweise gar nicht, weil ein paar ihrer pervertierten Geschäftsmodelle demnächst erschwert werden dürften (Stichwort: ePrivacy und Tracking)

Manche Blogger scheinen jedoch – überspitzt gesagt – einer Art Stockholm-Syndrom erlegen zu sein. Wenn man beispielsweise solche Artikel lesen darf, muss man sich fragen ob bei manchem Autor jeder Abstand zu den Objekten ihrer Berichterstattung verloren gegangen ist. Die massenhafte Lektüre von Pressemitteilungen scheint zur Übernahme von Sprache und Argumentation der Firmen geführt zu haben. Hier sieht man leider, dass die De-Professionalisierung der Berichterstattung, weg von den großen Medienhäusern, hin zu kleinen Blogs und Seiten zwar quantitativ viel bewirkt, aber nicht zwangsläufig qualitative Höchstleistungen hervorbringt. Seriöse Berichterstattung erlaubt auch sachliche Kritik, selbst wenn das eigene Geschäftsmodell tangiert ist.

Im Rahmen der permanenten Lobhudelei für die Produkte der IT-Industrie hat man scheinbar vergessen, dass hemmungsloses Nutzertracking nicht zur DNA des Internets gehört und Unternehmen auch ohne diese Methoden wirtschaften können. Einige der neuen Big Data-Konzerne haben früher mal ganz solide Geld mit Lizenzen und anderen kostenpflichtigen Produkten verdient. Da musste man aber auch noch Geld ausgeben und hat nicht mit pseudo-kostenlosen Produkten gearbeitet. Eventuell muss man so argumentieren, weil man sich ansonsten mit dem maximalen Kontrollverlust auseinandersetzen muss, den man durch die massive Nutzung der entsprechenden Dienste erlitten hat.

Exakt für eine Regulierung zum Schutz der Bürger und Mitbewerber gibt es den Staat bzw. in diesem Fall die suprastaatliche Europäische Union. Diese maßt sich nichts an, es werden keine Kompetenzen überschritten oder gar neue Verfahren eingeführt. Ohne Staat würde das Recht des Stärkeren gelten und wir wären im Kapitalismus der Monopole und Kartelle des 19. Jahrhundert. Der Staat zieht die Leitplanken in denen gehandelt und gewirtschaftet werden darf. In der Realwirtschaft ist das normal, das holt man nun für das Internet nach.

Die DSGVO wird nicht das Internet zerstören und auch nicht die IT-Giganten – nur manche Wirtschaftsmodelle werden zurück gedrängt. Die Schranken für Bürger der EU werden nur ein zeitweiliges Phänomen sein bis alle ihre Dienste angepasst haben. Der europäische Wirtschaftsraum ist die größte Wirtschaftszone der Welt, kaum ein Dienst kann es sich leisten, diesen nicht einzubeziehen.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.

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