Kommentar: Messenger-Wahnsinn – Wenn Zentralisierung keine Lösung ist!

“Die E-Mail ist als System defekt” hat als Ausruf frustrierter Privat- und Büromenschen bald Kultcharakter. Die Mängelliste ist in der Tat lang: Die E-Mail ist ohne zusätzliche Verschlüsselung unsicher, sie ist ein primär textbasiertes Medium und alle Zusatzfunktionen wie Anhänge, Verschlüsselung oder gar HTML haben es nur schlimmer gemacht. Zusätzlich kann man sich selbst mit einem guten serverseitigen Spamfilter vor idiotischer Werbung kaum retten.

Die E-Mail ist aber auch genial!

Mit einer Mailadresse bei einem Anbieter kann ich jeden Menschen bei jedem Anbieter kontaktieren. Ganz egal welches Format sein Endgerät hat, welches Betriebssystem darauf läuft und mit welchem Programm er seine Mails verwaltet. Zudem funktioniert der Versand und Empfang immer, selbst bei der üblichen deutschen Schmalspur-Verbindung. Die E-Mail steht daher beispielhaft für die Ideen des frühen Internets. Die dezentrale und fehlerresistente (teilweise aus der Not geborene) Organisation hat das Internet groß gemacht.

Messenger gleich welcher Couleur funktionieren natürlich eigentlich viel besser. Man kann mit ihnen Fotos, Dateianhänge und Videos verschicken. Es gibt Versand- und Lesebestätigung und mit einigen kann man sogar (Video-)Telefonie zuschalten. Die meisten Messenger sind inzwischen sogar leidlich sicher, zumal seitdem WhatsApp Ende-zu-Ende verschlüsselt. Die Trennung in Gruppen- und Direktkonversion verhindert zudem eine ausufernde CC-Wut.

Weil aber bis auf XMPP alle Messenger – auf einem Zentralisierungsgedanken basierende – Insellösungen sind hat man nicht mehr nur ein Programm, sondern gleich ein halbes dutzende Programme, die letztlich die gleiche Lösung bieten. In meinem Fall sind dies:

  • WhatsApp: Es ist der Marktführer, fast jeder Besitzer eines Smartphones hat einen WhatsApp-Account. Datenschutzbedenken werden von der Masse gerne beiseite gewischt.
  • Telegram: Für jene Kommunikationspartner, die tatsächlich dem irrationalen Glauben anhängen, dass Telegram irgendwie sicherer als WhatsApp wäre und deshalb ersteren verweigern.
  • XMPP: Für jene, die wirklich sicher kommunizieren wollen.
  • Threema: Primär Arbeit.
  • Wire: Halbwegs sichere Videotelefonie

Das ist Wahnsinn! Nicht nur, dass man für jede Kommunikation wissen muss welchen Kanal man wählt. Nein jeder muss installiert sein, hat umfangreiche Zugriffsmöglichkeiten auf Kontakte & Co und benötigt i.d.R. einen Account mit mehr oder weniger persönlichen Daten. Die Dienste sind zudem fast ausnahmslos zentral organisiert, weshalb bei einem Dienstausfall die Kommunikation zum erliegen kommt.

Zudem ist bei den meisten Anbietern die Kommunikation über ein zentrales Gerät vorgesehen. Sofern eine Synchronisation diverser Endgeräte möglich ist, setzt dies voraus, dass die Nachrichten zentral beim Anbieter gespeichert werden.

Die E-Mail mag als System kaputt sein. Messenger sind aber keine Lösung – sie sind systemgewordener Irrsinn! Man vermisst schon fast die SMS.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.

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