Der Smartphone-Markt wird zur Zeit von zwei Systemen dominiert: Android und iOS. Hinter Android steht zwar nicht nur ein Hardwarehersteller, aber auch hier haben sich wenige Anbieter den Kuchen aufgeteilt. Lediglich zwei andere mobile Betriebssysteme schaffen es derzeit gerade noch messbare Marktanteile zu erreichen: BlackBerry OS und Windows Phone.
Wenn man zu einem der beiden Anbieter greift, trifft man auf Unverständnis. „Ich wusste gar nicht, dass es noch BlackBerry gibt“ und „Warum nimmst du so ein Teil?“ sind die häufigsten Kommentare. Deshalb mal der Versuch einer Darstellung.
Zum Stand der mobilen Betriebssysteme
Sailfish, Ubuntu, KDE – Junge Open Source Welt
Ich war schon immer aufgeschlossen für Neues in diesem Markt. Festgelegt auf ein System habe ich mich nie, sondern im Lauf der Zeit einiges ausprobiert (in chronologischer Reihenfolge): Symbian, BlackBerry OS 6-7, iOS 6-7, Android 2.x, Windows Phone 8, Android 4-5 und nun das BlackBerry OS 10 mit dem Classic.
Wie man an der Abfolge sieht, war Open Source nicht immer ein Kriterium, obwohl ich auf dem Desktop durchaus ein überzeugter Anwender von Linux bin. Grundsätzlich wäre Open Source auch im mobilen Bereich wünschenswert und es gibt dort zur Zeit auch einige sehr interessante Projekte. Das aus den letzten Zuckungen Nokias hervorgegangene Jolla mit SailfishOS ist sicherlich die am weitesten entwickelte Alternative. Die Oberfläche ist zwar nicht offen, aber darunter arbeiten mit Wayland und dem Linux-Kernel vertraute Komponenten. SailfishOS hatte ich deshalb natürlich bereits getestet. Mein damaliges Fazit gilt leider auch heute noch und ist der Hauptgrund gewesen, nicht zum Jolla zu greifen:
Allerdings setzt das ganze System auf einen leicht transparenten Look, der eingefärbt wird in eine anfangs auszuwählende Lieblingsfarbe. Das erinnert ein wenig an das kommende MacOSX Yosemite, wenngleich Sailfish OS natürlich deutlich älter ist. Mir persönlich sagt das überhaupt nicht zu, da ein unruhiges Gefühl auf dem Display entsteht und man sich schlecht auf den Text fokussieren kann.
Ubuntu Touch und Plasma Mobile sind zwei weitere hochinteressante Projekt im mobilen Bereich. Leider haben sowohl Canonical, als auch die Community rund um die Linux-Desktopumgebungen das Thema „mobile“ viel zu spät aufgegriffen. Während Canonical so mutig war sein System schon auf den Markt zu werfen, sagt KDE selbst, dass sein System frühestens in ein, zwei Jahren marktreif ist. Gegenwärtig sind beide Systeme keine wirkliche Alternative, jedenfalls nicht für das primäre Gerät. Das wird sich hoffentlich ändern, aber man muss schon sehr viel Enthusiasmus an den Tag legen, um diese Systeme aktuell einzusetzen.
Android
Man könnte nun zu Recht einwerfen, dass es ja bereits ein ausgereiftes mobiles Betriebssystem mit offenem Quellcode und freier Lizenz gibt: Android. In der Tat ist es richtig, dass das Android Open Source Projekt (AOSP) ein vollwertiges, freies Betriebssystem liefert. Nur leider gibt es dieses System so nicht im Handel. Die Android-Geräte auf dem Markt sind in etwa so frei wie Apples MacOSX. Über einen freien Kern werden massenhafte unfreie Apps und eine unfreie Oberfläche gelegt. Das gilt auch für die Google-eigenen Geräte und jene Hersteller, die ein möglichst originales Android ausliefern wie z.B. Motorola.
Hinzu kommt, dass diese Geräte im Crapware-Status inzwischen locker mit jedem neuen Windows-System mithalten können. Selbst auf den Nexus-Geräten sind dutzende unnötige und vor allem nicht deinstallierbare Apps eingerichtet. Chrome, Google+, Hangouts, Google Play Music, Google Play Videos, Google Play Books usw. usf. Dass Google-Geräte als vergleichsweise saubere Android-Exemplare gelten, zeigt wie schlimm die Situation inzwischen ist.
Gleichzeitig ist Googles Engagement für das Android-Basissystem rückläufig. Zu sehen bekommt man das, wenn man mal eine AOSP-Rom installiert. Viele Basis-Apps (für die es inzwischen proprietäre Google-Alternativen gibt) wurden fallen gelassen und passen optisch überhaupt nicht mehr in das System. Die Community versucht diese Lücke zu schließen, aber ihre Möglichkeiten bleiben limitiert. Roms wie Cyanogenmod sind toll und die Entwickler dahinter leisten wirklich gute Arbeit, aber sie können auch nicht mehr machen, als das zu nehmen, was Google ihnen vor die Füße wirft. Eigene Releasezyklen, eine eigene Updatepolitik, so wie das auch die Linux-Distributionen hinbekommen, sind so nicht denkbar. Man muss immer dem Google-Releaseplan folgen. Das führt zu einer sehr instabilen Situation, viele Roms bekommen überhaupt keine stabilen Versionen mehr veröffentlicht. Der Nutzer hängt permanent auf Nightly-Versionen, sofern er nicht auf der verstopften Stock-Rom bleibt. Das ist im Alltagbetrieb einfach keine Lösung. Auf dem Smartphone brauchet man absolute Stabilität und keine Überraschungen durch feherhafte Updates. Dies kann man leider als Nutzer kaum kontrollieren, da Google z.B. die Play Dienste am System vorbei aktualisiert. In negativer Erinnerung ist mir dabei besonders der vergangene Dezember geblieben, als Updates der Play Services dazu führte, dass man mit CM 11-Systemen (und auch einigen anderen (Stock-)Roms) nicht mehr telefonieren konnte.
Die Entwicklung im Basissystem ist eh überschaubar. Zwar wurde die Oberfläche zwischen Kitkat und Lollipop nochmal grundlegend überarbeitet, aber wirkliche Innovationen blieben aus. Die finden mittlerweile in den Google-Diensten wie z.B. bei Google Now statt. Schade nur, wenn man diese nicht nutzt. Die Produktivapps des Basissystems sind äußerst dürftig. Die Mailapp konnte bis vor wenigen Wochen nicht mal IMAP-Push, der Kalender ist eine Zumutung und freie Protokolle wie CalDAV werden von Haus aus gar nicht unterstützt. Was zudem besonders lustig ist, da Google Microsoft gedrängt hat, diese in Windows Phone für die Google Dienste zu implementieren.
Das BlackBerry Classic
BB OS 10 (früher BBX)
Die letzten Punkte verweisen schon auf das grundlegende Problem. Meine Smartphone-Nutzung ist eher konservativ. Ich benötige das Gerät für die Kommunikation (Messenger, SMS & E-Mail), sowie für das Telefonieren. Letzteres muss man extra nochmal betonen, weil das ja heute nicht mehr unbedingt selbstverständlich ist. Hinzu kommen Organisationsfunktionen, wie Kalender, Notizen und Aufgaben. Mobilitätsfuntionen wie eine Maps-Anwendung und Fahrpläne sind auch wichtig, aber meine Ansprüche sind da eher bescheiden. 100 Kilometer Outdoor-Touren mit dem Fahrrad gehören tendenziell nicht dazu.
Unter Android ging das nur mit Drittanbieter-Apps. Weder die Kontakt-, noch die Kalendersynchronisation waren von Haus aus möglich, noch waren Mailapp und Kalender/Aufgaben in irgendeiner Form ausreichend.
BlackBerry OS 10 basiert auf dem unixoiden System QNX. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist es vollkommen auf den Touchbereich ausgelegt. Dementsprechend waren die ersten Smartphones mit dem System wie das Z10 nicht mit einer Hardwaretastatur ausgestattet. Wirklich innovativ sind die vielen Wischgesten. Man merkt beim Einsatz eines neuen Blackberry (aber auch z.B. bei Jolla) wie sehr Android dem Prinzip des „Maus-Klicks“ verhaftet geblieben ist. Vieles von dem, was Android erst mit Lollipop eingeführt hat (z.B. Benachrichtigungen auf dem Lockscreen) kann das BlackBerry auch, wengleich es eher gemächlich entwickelt wird.
Obwohl das System proprietär ist, unterstützt BlackBerry alle erdenklichen offenen Standards. Genau das macht es für mich so interessant. Synchronisation von Kalender, Kontakten und Mails ist möglich ohne auch nur den App-Store eines müden Blickes gewürdigt zu haben. Dieser ist dann auch recht mager bestückt, aber das macht ja nichts, wenn das System alles von Haus aus kann, wofür man bei Android eine App brauchte.
Wirklich innovativ ist der BlackBerry Hub, der quasi die Kommunikationszentrale des Systems ist. Mit einem Wisch in den links des Startbildschirms befindlichen Bereich (oder über das Icon) öffnet sich der Hub. In diesem laufen alle Nachrichten – egal welchen Kommunikationskanal sie benutzen – zusammen, ergänzt durch Benachrichtigungen und Telefonanrufe. Eine unfassbare Vereinfachung, in Zeiten sich stetig ausdifferenzierender Möglichkeiten zu Kommunizieren(SMS, E-Mail, WhatsApp, Telegram, BBM etc. pp.)
Ansonsten kann ich über die App-Ausstattung nicht klagen. BlackBerry Maps ist solide, mit MAPS.ME ist eine OSM-App im Store verfügbar. Der Zugriff auf meine ownCloud ist via WebDAV möglich, Office und PDF-Betrachter sind vorinstalliert. Interessante ist die Möglichkeit Android Apps aus der vorinstallierten Amazon-App zu beziehen. Gebraucht habe ich dies bisher nicht.
Das BlackBerry Classic
Mein Entscheidungsprozess führte, ähnlich wie der Aufbau dieses Artikels, vom Betriebssystem zum Smartphone. BlackBerry hat zwar ähnlich wie Apple nur eine handvoll Geräte am Start, aber diese unterscheiden sich fundamental. Das Classic ist die direkte Fortsetzung der klassischen BlackBerry Bold-Reihe. Nostalgische Erinnerungen ließen mich zu diesem greifen – ein Schritt den ich nicht bereut habe.
Am auffälligsten ist sicherlich die klassische Hardware-Tastatur. Selbst wenn man sie von früher kennt, ist sie nach Jahren mit Touch-Tastaturen ungewohnt. Bei den Touchsystemen von Android und iOS schreibt man ja seltener, als das man vielmehr über die Tasten swypt oder ungefähr in die Nähe des gewünschten Buchstabens zielt. Das System bügelt diese Fehler dann aus. Im Grunde genommen schreibt also eigentlich das System für einen. Eigentlich eine absurde Vorstellung. Bei einem BlackBerry Classic tippt man wieder selbst. Eine Autokorrektur gibt es, aber diese ist standardmäßig abgeschaltet. Anfangs war die hochgelobte Tastatur des BlackBerry für mich keine Offenbarung. Sie war gut, aber ich war damit auch nicht schneller als per Touchsystem. Nach einiger Zeit hat sich das unfassbar geändert. Man kann mit ein wenig Übung unglaublich schnell auf dem System schreiben.
Über der Tastatur sitzt der Belt genannte Tastengürtel. Anfangs war ich skeptisch, wie dieses von früheren BB’s bekannte Element mit dem neuen Betriebssystem harmonieren würde. Das Ergebnis lautet: Überraschend gut! Insbesondere die Hardwaretasten zum Annehmen und Auflegen von Telefonanrufen sind enorm praktisch. Kein blödes Ziehen über einen Ring, dessen Richtung sich auch noch bei Updates ändern kann. Das Trackpad, in Kombination mit der Tastatur machen zudem eine einhändige Bedienung im Hub möglich. Definitiv ein Pluspunkt im Alltag.
Das Display ist gemessen an heutigen Standards ziemlich klein. Nach 2-3 Tagen Eingewöhnung merkt man das aber kaum noch. Lediglich beim surfen im Browser würde man sich manchmal ein größeres Display wünschen. Ein BlackBerry Passport ist mir aber zu überdimensioniert – so wie vieles auf dem aktuellen Markt.
Die Hardwarespezifiationen sind nicht so berauschend, das wurde in vielen Testberichten kritisiert. Meiner Ansicht nach kommt dieser Hardwarewahnsinn aus der Android-Ecke, weil selbiges ein unfassbar unperformantes Betriebssystem ist und selbst auf Geräten mit der Hardwareaustattung eines Desktop-PCs ruckelt. Das System auf dem Classic läuft ruckelfrei und geschmeidig. Letztlich ist das der Sinn der Hardware.
Beim Stichwort Hardware. Das Gerät ist sehr gut verarbeitet. Die Tastatur hat einen knackigen Druckpunkt und nichts knarzt oder schabt. Der Metallrahmen gibt dem Gerät die nötige Stabilität. Die Rückseite ist leider aus Plastik und fühlt sich nicht besonders wertig an. Das war beim Bold 9900 schöner gelöst. Allerdings ist das jetzt auch nicht so dramatisch. Ich muss immer ein wenig über die Leute schmunzeln, die von ihren wertigen Glas-, oder Aluminiumrückseiten schwärmen, nur um sie dann in eine klobige Hülle zu stecken.Die geriffelte Rückseite liefert zudem einen guten Halt. Wichtig bei einhändiger Benutzung.
Fazit
BlackBerry liefert mit dem BB OS 10 ein solides Betriebssystem, das durch die gute Unterstützung offener Standards hervoragende mit Linux-Desktopsystemen harmoniert. Insbesondere die für BlackBerry typische Fokussierung auf klassische Produktivitätsbereiche wie Mails, Kalender, Kommunikation und Officedateien, kann für Anwender interessant sein. Trotz einer konservativen Hardware mit Tastatur und Hardwaretasten hat man keineswegs das Gefühl ein altes System zu nutzen. BB OS 10 ist auf der Höhe der Zeit. Wer natürlich eine möglichst große Auswahl an Spielen sucht oder Videos konsumieren will, sollte sich ein anderes System suchen. Für mich ist es gegenwärtig das beste Betriebssystem, mal sehen ob in 2-3 Jahren die neuen Mitspieler Ubuntu Touch, Plasma Mobile etc. aufgeholt haben und mich überzeugen können. Bis dahin ist mir ein proprietäres System mit guten Synchronisationsfunktionen lieber, als die Pseudo-Freiheit von Android.
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