Die traditionsreiche Linux-Distribution mit dem charakteristischen Chamäleon als Logo galt lange Zeit als die Linux-Distribution für den Desktop. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Zwischenzeitlich kam Ubuntu und vereinfachte den Zugang zum Debian-Universum für Desktopnutzer und auch das ist schon wieder Schnee von Gestern. Heute gilt Linux Mint als am häufigsten eingesetzte Distribution. Was passiert mit einer Distribution, die ihre Position als „die“ Desktopdistribution sicherlich eingebüßt hat, aber dennoch keineswegs tot ist – das lässt sich zur Zeit bei openSUSE beobachten. Jede Krise birgt eine Chance zur grundsätzlichen Verbesserung.
Ein Blick zurück
SuSE und später dann openSUSE waren lange Zeit tonangebend auf dem sehr kleinen und noch sehr jungen Linuxdesktop-Markt. Debian war für einen Laien quasi nicht zu installieren, selbst erfahrene Debian-Nutzer kopierten ihre Installationen auf die neuen Geräte, anstatt neu zu installieren. Dann kam Ubuntu und revolutionierte den Desktopbereich. Linux galt nun als einfach zu installieren und noch einfacher zu verwalten. Reduktion ist bis heute in einigen Entwicklergemeinschaften äußerst angesagt – vor allem im GNOME-Umfeld. Anstelle dem Nutzer viele Optionen zu bieten, sollte alles gut vorkonfiguriert sein und nur absolut essenzielle Optionen geboten werden (was das ist, darüber wird bis heute gestritten).
openSUSE mit YaST und der komplexen, aber gut funktionierenden, Installationsroutine passte da nicht mehr so rechts ins Bild. Zudem setze man bis auf eine kurze Zwischenphase immer primär auf KDE, ein Desktop, der seit 2007 auch nicht gerade durch wachsende Marktanteile bekannt wurde. Das Projekt verlor nicht rapide an Nutzern und im Gegensatz zu Mandrake/Mandriva (noch so ein Dinosaurier…) musste man auch nicht mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfen, schließlich ist SUSE Linux im Unternehmensbereich immer noch sehr erfolgreich. Dennoch lässt sich nicht wegdiskutieren, dass openSUSE nur noch im oberen Mittelfeld mitschwimmt. Die Resonanz in den Medien ließ nach und neue Versionen begeisterten vor allem die Stammnutzer.
Das ist sicherlich auch dem enorm schlechten Marketing rund um SUSE geschuldet. Man konnte nicht nur dem Shitstorm (obwohl es das Wort damals noch nicht in dem Sinne gab) rund um die Novell-Microsoft Partnerschaft wenig entgegen setzen, sondern kommunizierte auch sonst wenig nach außen. Während jeder Schluckauf jede Beta und jedes Luftschloss von Canonical den IT-Portalen eine Newsmeldung wert ist, wurde die Entwicklung bei SUSE gar nicht mehr begleitet.
Der Status gegen Ende 2014
openSUSE bestand im wesentlichen aus drei Hauptprojekten, die nicht alle gänzlich offiziellen Charakter hatten, aber das Bild bestimmten. Erstens wäre da die traditionelle Stable-Variante der Distribution, die zur Zeit in Version 13.2 vorliegt und im letzten Herbst erschien (Ausführlicher Test hier im Blog). Diese erschien bisher ca. alle 8 Monate und es werden immer der aktuelle und der vorherige Release mit Updates versorgt. Das entspricht guten 1,5 Jahren Support für jede openSUSE-Version. Hinzu kommt ein LTS-Zweig, genannt Evergreen, bei dem einige Veröffentlichungen über den offiziellen Supportzeitraum hinaus gepflegt werden. Die letzte Evergreen-Version wird wohl 13.1 sein, das noch bis 2016 Unterstützung erhält. Als dritter Zweig kam im Herbst 2014 Factory/Tumbleweed hinzu.
Umstrukturierungen
Diese Zweig war das erste Ergebnis der openSUSE-Umstruktierung. Das Ziel war es aus dem bestehenden Factory-Zweig eine nutzbare eigene Version zu machen und die Kräfte mit dem von Greg Kroah-Hartman gegründeten Tumbleweed Projekt zu bündeln. Dieses war bis dahin ein Zusatz zur bestehenden jeweiligen stabilen Version, womit einige Teile der Paketquellen „ins rollen“ gebracht werden konnte. Zusammen mit Factory sollte das neue Tumbleweed eine vollständige RR-Distribution sein. Damit sollte den Forderungen nach aktuellerer Software nachgekommen und werden und einem, in Teilen der Linux-Gemeinschaft vorhandenden Trend, hin zu RR-Distributionen Genüge getan werden. Hinzu kam die Hoffnung, dass ein derartig stabilisierter Factory-Zweig eine leichtere Veröffentlichungsphase ermöglichen würde.
Der Probleme im Stable-Zweig von openSUSE waren zu diesem Zeitpunkt bereits offensichtlich geworden. OpenSUSE hatte schon im Vorfeld des Releases von 13.2 Schwierigkeiten in der Organisationsstruktur. OpenSUSE 13.2 wurde deshalb vom Sommer auf den Herbst verschoben. Über die Hintergründe gibt es zwei verschiedene Versionen. Die einen behaupten, dass die Mitarbeit der Community an openSUSE mehr und mehr eingebrochen ist, weshalb immer mehr bei den Angestellten von SUSE hängen bleibt. Stephan Kulow, der lange Zeit Release-Manager von openSUSE war, sprach hingegen von zu viel Erfolg. Im speziellen würde zu viel Sourcecode aus unterschiedlichen Quellen openSUSE erreichen.
Trotz dieser Probleme veröffentlichte man noch einmal eine stabile Version und zeigte damit wozu das openSUSE-Projekt fähig ist. Die Version 13.2 ist keineswegs eine Distributionsversion auf Abruf, sondern ein Release, dass mit Btrfs und XFS als Standard-Dateisystemen, dem portierten YaST2 sowie wicked als neuem Netzwerkdienst innovativ ist und gleichzeitig bewährt-stabile Desktopumgebungen ausliefert. Auch die Pflege der Version seit November illustriert die Stärken von openSUSE. Man kombinierte die stabile Basis mit Aktualisierungen im Desktopbereich, sofern man glaubte, dass die Anwender davon profitieren. Wichtige KDE-Software wurde somit seit November 2014 ein gutes halbes Dutzend mal aktualisiert.
Nach der Version 13.2 wurde es aber dennoch ziemlich ruhig um den stabilen Zweig. Ähnlich wie Fedora vor einiger Zeit nahm man sich bei openSUSE die Zeit um die Releasestruktur den neuen Anforderungen und Möglichkeiten anzupassen. Etwas, dass durchaus auch anderen Distributionen, wie z.B. Ubuntu, gut tun würde, wenn man die „bahnbrechenden Neuerungen“ der letzten Halbjahres-Veröffentlichungen (STS) betrachtet.
Das Beste aus zwei Welten
SLE-Quellen im OBS
Hilfe kam dann direkt aus Nürnberg. Die Firma SUSE beschloss die Überführung des Quellcodes von SUSE Linux Enterpise auf den OBS. Damit eröffneten sich gänzlich neue Möglichkeiten, die von den openSUSE Entwicklern aufgegriffen wurden. Das Ergebnis nennt sich openSUSE Leap und soll die nächste stabile Veröffentlichung von openSUSE werden. Geplant ist diese ein Jahr nach dem letzten Release 13.2, d.h. im November 2015 herauszubringen.
OpenSUSE Leap wird eine Komposition aus einem Unterbau von SUSE Linux Enterprise und stabilisierten Paketen von Tumbleweed sein. Damit sollen die SLE-Pakete die Lücke schließen, die scheinbar in den letzten Jahren bei openSUSE entstanden ist.
Im Idealfall wird openSUSE Leap dann eine einzigeartige Komposition aus einem hochgradig stabilen Unterbau mit einer modernen Desktopumgebung und modernen Anwendungsprogrammen werden. Das lang gesuchte Alleinstellungsmerkmal auf dem Linux-Desktop-Markt wäre damit sicherlich gefunden.
Supportzeitraum
OpenSUSE Leap 42.1 wird auf SLE 12 Service Pack (SP) 1 aufbauen. Der Plan sieht vor, dass der Nachfolger dann 42.2 heißen und auf SLE SP 2 basieren wird. Neue Servicepacks für SUSE Linux Enterprise erscheinen alle 12 bis 18 Monate, was auch den Releaseprozess von openSUSE Leap bestimmt. Mit der Freigabe (des noch nicht angekündigten) SLE 13 würde openSUSE dann auf 43.1 wechseln.
Konkret bedeutet das:
- Jede Hauptversion von Leap (z.B. 42.x) wird für mindestens 36 Monate unterstützt.
- Unterversionen (z.B. 42.1, 42.2) werden planäßig jährlich veröffentlicht. Nach einer Freigabe haben die Anwender 6 Monate Zeit ihre Systeme auf die aktuelle Unterversion zu aktualisieren.
OpenSUSE bewegt sich damit im unteren Bereich der LTS-Distributionen. Die Supportdauer ist am ehesten mit Debian zu vergleichen. Ein längerer Supportzeitraum ist für eine Community-Distribution wohl nicht möglich und dürfte von den openSUSE-Anwendern auch kaum gefordert werden. Für die Laufzeiten, die im professionellen Einsatz notwendig sind gibt es schließlich SUSE Linux Enterprise.
Während sich der Supportzeitraum an Debian anlehnt ähnelt das System mit Unterversionen hingegen eher der gegenwärtigen Praxis bei RedHat Linux Enterprise. Auch dort werden die Unterversionen genutzt um wichtige Updates an die Nutzer der Enterprise-Distribution weiterzugeben.
Erste Einblicke
Bereits am 24. Juli veröffentlichte das openSUSE Projekt den ersten Meilenstein für das kommende openSUSE „Leap“ 42.1. Damit lassen sich erstmals auf Basis der Paketliste Rückschlüsse auf die konkrete Zusammenstellung von SUSE Linux Enterprise 12-Unterbau und Tumbleweed-Paketen anstellen.
Alle für den Desktopnutzer relevanten Pakete, wie die Desktopumgebung, der Browser, die Office-Suiten etc. wurden für die stabile Version aus dem Tumbleweed-Projekt importiert und sind deshalb in absolut aktuellen Versionen enthalten. Hier dürfte sich bis zum Release auch nicht mehr viel tun. Weiterhin sind der Kernel und der Grafikstack ebenfalls aktuell, wodurch eine reibungslose Hardwareunterstützung garantiert sein dürfte. Konkret bedeutet dies, dass z.B. der Kernel in Version 4.1 ausgeliefert wird. Das ist zwar nicht die aktuelle Entwicklungsversion, aber die aktuelle Version mit Langzeitpflege durch die Kernel-Entwickler – eine nachvollziehbare Entscheidungs aus Wartungsgründen.
Aus SUSE Linux Enterprise werden hingegen die Basiskomponenten entnommen, die für die meisten Nutzer von nachrangiger Bedeutung sein dürften. Dazu gehören z.B. CUPS, das in der verhältnismäßig alten Version 1.7.5 enthalten ist (was trotzdem ein Fortschritt zu openSUSE 13.2 darstellt) oder systemd, das in Version 210 ausgeliefert wird. Andere Beispiele für Pakete aus SLE sind die Paketverwaltung RPM, sowie zypper, der Bootloader GRUB2 etc.
Fazit
Die Entwicklung von openSUSE „Leap“ bleibt interessant, aber es gibt eigentlich keinen Grund pessimistisch zu sein. OpenSUSE wird dem Endanwender weiterhin eine aktuelle Arbeitsumgebung liefern. Lediglich das Basissystem wird aus SLE übernommen. Die Behauptungen, dass die Hardwareunterstützung darunter leiden würde, kann angesichts eines aktuellen Kernels und Grafikstacks, als Panikmache abgetan werden. Im Sinne der Stabilität ist das keine schlechte Entscheidung. Versionsfetistischen werden zwar wieder in jeder Kommentarspalte, die sie finden, ihre Meckertiraden unterbringen, aber diese Anwender sind definitiv nicht die Zielgruppe der stabilen Variante von openSUSE.