Der Hype ist ein wenig abgeklungen, aber wenn Ubuntu eine neue LTS-Version veröffentlicht ist die mediale Aufmerksamkeit immer noch gewiss. Ubuntu steht außerhalb der Tech-Welt nach wie vor fast synonym für Linux und wird auch von erstaunlich vielen versierten Anwendern gerne als wartungsarmes Desktopsystem verwendet. Die LTS-Version steht dabei für Stabilität und langjährige Unterstützung.
Rahmenbedingungen
Ubuntu und die offiziellen Derivate Kubuntu, Xubuntu, Lubuntu, Ubuntu MATE und Ubuntu Budgie veröffentlichen alle zwei Jahre eine neue LTS (Long Term Support) Version. Die Hauptvariante Ubuntu erhält dabei Unterstützung für 5 Jahre, die Community-Derivate versprechen 3 Jahre Support. Die LTS-Version bildet dabei den Endpunkt einer zweijährigen Entwicklung. Spätestens mit den zwei vorangegangenen so genannten STS-Versionen werden die Weichen für die kommende LTS gestellt. Die im vergangenen Herbst erschiene Version 17.10 bot deshalb schon einen Ausblick.
Basissystem
Alle Derivate teilen sich das gleiche Basissystem. Die Version 18.04 bietet einen neuen Kernel in Version 4.15, LibreOffice liegt nun in aktueller Version 6 vor und VLC in der kürzlich erschienen Version 3. Firefox und Thunderbird werden sowieso aktuell gehalten, weshalb hier keine Versionssprünge zur vorangegangenen Version zu verzeichnen sind.
Größere Umbauarbeiten, vergleichbar mit dem Wechsel auf systemd in der letzten LTS, sind dieses Mal nicht zu verzeichnen. Den Wechsel von X11 auf Wayland hat man aufgrund von Limitationen des neuen Systems noch einmal vertagt – eine absolut vernünftige Entscheidung. Der Wechsel von NTPD auf Chrony, Livepatching des Kernels oder der Wechsel im Netzwerksystem dürften nur erfahrene Anwender wirklich interessieren. Die meisten Desktopanwender bekommen davon nichts mit und das ist auch gut so.
Lediglich der Abschied von eCryptFS dürfte auffallen. Dazu siehe auch: Ubuntu verabschiedet sich von eCryptFS
Die Hauptvariante Ubuntu liegt nun nur noch in 64bit vor. Die Derivate bieten noch 32bit-Versionen, aber hier ließ sich bereits in der Vergangenheit ein erheblicher Qualitätsabfall beobachten. Die endgültige Abkehr von der veralteten Architektur ist nur noch eine Frage der Zeit, viele andere Distributionen wie RHEL, SUSE oder Arch haben sie bereits vollzogen.
Neu in der Installationsroutine ist hingegen die Möglichkeit eine minimale Desktopinstallation vorzunehmen. Das Ausmaß der minimalen Installation variiert je nach Derivat. In der Regel wird aber auf eine Office-Suite, Mailprogramme und dergleichen verzichten. Insbesondere für Anwender, die sich ihre Programmauswahl gerne selbst zusammen stellen ist dies eine interessante Option.
Derivate im Überblick
Die Neuerungen bei den Derivaten unterscheiden sich in Ausmaß und Qualität ganz erheblich von einander, weshalb hier kurz auf jedes eingegangen werden soll. Die Abfolge der Derivate erfolgt in chronologischer Übersicht nach dem Zeitpunkt der Aufnahme als offizielles Derivat.
Ubuntu
Vor ungefähr einem Jahr erfolgte die Ankündigung, dass man die Entwicklung von Unity 8 aufgibt und auf dem Desktop zurück zu GNOME kehr. Im Herbst konnte man sich bereits anschauen, wie das Ubuntu-Team sich seinen GNOME-Desktop vorstellt. Ingesamt ziemlich konventionell, lediglich kleine Reminiszenzen an die Unity-Vergangenheit schwingen noch mit, wie das eigene Design und das ständig präsente Dock an der linken Seite.
Das GTK-Design Ambiance und Radiance wirkt inzwischen aber ziemlich alt. 3D-Buttons, Farbverläufe etc. sind bei anderen Systemen sowohl auf dem Desktop, als auch im mobilen Bereich fast vollkommen verschwunden. Hier merkt man definitiv den langen Entwicklungsstau durch die Arbeiten an Unity 8.
Unter der Haube greift man nun für einige Programme auf Snaps zurück und möchte hier wohl austesten wie das im Produktivbetrieb funktionieren könnte. Dafür spricht jedenfalls dass man verhältnismäßig unbedeutende Programme wie den Rechner als Snap ausliefert.
Das Software-Verwaltung bleibt eine Katastrophe. Die Einbindung von Snaps macht das ganze noch unübersichtlicher und zieht – ein Blick in die Supportforen verrät es – massenhaft Benutzerfehler nach sich.
Kubuntu
Nachdem Kubuntu im Vorfeld der letzten Veröffentlichung 16.04 erhebliche Schwierigkeiten im Entwicklerteam hatte, scheint eine Stabilisierung des Projekts eingetreten zu sein. Kubuntu liefert mit Plasma 5.12 eine Version aus, die auch seitens des KDE Projekts als LTS-Version unterstützt wird. Zusätzlich liegen die KDE Applications in Version 17.12 vor, da die aktuelle Version der Programmsammlung zu kurz vor dem Release von Kubuntu selbst erschien um noch berücksichtigt zu werden.
Die allgemeine Stabilisierung des Kubuntu Projekts zeigt sich daran, dass man neben der Versionspflege auch Zeit gefunden hat um Entscheidungen hinsichtlich der Gestaltung und Programmauswahl zu treffen. So ist die Plasma-Oberfläche nun dunkel gehalten, während die Programme selbst im hellen Breeze-Design angezeigt werden. Im Programmbereich hat man Amarok zu Gunsten von Cantata ersetzt und Dragonplayer durch VLC. Zwei absolut richtige Entscheidungen, da die beiden alten Projekte kaum noch Entwicklung erfahren haben. Beim Browser bleibt man hingegen Firefox treu und wechselt nicht auf den neuen KDE-Standard Falkon.
Kubuntu scheint die Unzulänglichkeiten von KDE Discover (das nun optional auch mit Snaps umgehen kann) erkannt zu haben, weshalb von Haus aus auch wieder die klassische Paketsoftware Muon dabei ist.
Xubuntu
Xfce ist unter den relativ ressourcensparsamen Desktops der Dinosaurier. Xfce gibt es seit den 1990ern und die aktuelle Hauptversion 4 erschien bereits 2003. Xfce ist somit keine Eintagsfliege, aber das Alter der gegenwärtigen Hauptversion offenbart auch die schleppende Entwicklung. Die Xubuntu-Entwickler versuchen das durch ein modernes Design zu kaschieren, was ihnen auch ganz gut gelingt.
Die Programmauswahl wurde dieses Mal jedoch modifiziert. Man greift nun in vielen Bereichen auf die MATE-Programme zurück und verabschiedet sich von den GNOME Pendants. Die Programmauswahl ist zudem nicht auf Ressourcensparsamkeit optimiert, weshalb man Firefox, Thunderbird und LibreOffice vorfindet.
Lubuntu
Der Umsteig auf LXQt ist das Duke Nukem Forever der Linux-Welt und mal wieder vertagt. Lubuntu liefert erneut LXDE aus, das bei all seinen Vorzügen wie beispielsweise der extrem ressourcenschonenden Oberfläche inzwischen aus der Zeit gefallen scheint. Optisch lehnt sie sich an Windows XP an und durch die eingestellte Weiterentwicklung ist mit funktionalen Überraschungen nicht zu rechnen.
Problematisch ist aber, dass LXDE lediglich ein Desktop ist und nur wenige wirklich zugehörige Programme umfasst. Viele benötigte Programme sind deshalb aus anderen Oberflächen entliehen, weshalb der Desktop kein stimmiges Gesamtbild abgibt und sich die Programmbedienung oftmals stark unterscheidet. Hier hätte man ähnlich wie bei Xubuntu wohl einige GNOME-Programme durch die MATE-Pendats ersetzen können.
Ubuntu MATE
MATE ist neu und alt zugleich. Obwohl 18.04 erst die zweite LTS-Version von MATE ist, kann man natürlich durch das GNOME 2-Erbe auf eine lange Vorgeschichte zurückblicken. MATE beweist, dass man mit einem Fork tatsächlich auch erfolgreich sein kann. Gestartet als Kopie von GNOME 2 hat man inzwischen erfolgreich den Sprung auf GTK3 geschafft und gleichzeitig das bewährte Bedienkonzept bewahrt.
Durch die Übernahme des GNOME 2-Quellcodes ist MATE unter den kleinen Projekten die vollständigste Desktopumgebung. Neben dem Desktop bietet man eine Reihe passender Programme. Die Auswahl wurde hier seit der letzten Veröffentlichung kaum modifiziert.
Das Design wirkt ähnlich wie bei Ubuntu selbst inzwischen ein wenig aus der Zeit gefallen und würde eine Generalüberholung vertragen. Neu hinzugekommen ist ein neues Menü mit Suchfunktion, das den bisherigen GNOME 2-Standard ablöst.
Ubuntu Budgie
Budgie ist der Neuling in der Ubuntu-Familie. Ursprünglich als Desktop für Solus Linux entwickelt, ist Budgie nun auch in andere Distributionen eingezogen. Die Zielgruppe von Budgie sind Anwender auf dem GNOME-Umfeld, die mit der GNOME Shell unzufrieden sind, jedoch auch nicht zu konservativen Ausprägungen wie Cinnamon oder MATE wechseln wollen. Budgie ist eine Idee, wie GNOME 3 sein könnte, wenn die Entwickler sich nicht in Ideologie und Purismus verrannt hätten.
Budgie hat ein erstaunlich durchdachtes Bedienkonzept mit einer Leiste am oberen Bildschirmrand einem Dock links und einer Widgetleiste rechts, die ähnlich wie bei macOS eingeblendet werden kann. Die Programmaustattung kommt größtenteils von GNOME, harmoniert aber gut mit dem Budgie Desktop. Die Einstellungsmöglichkeiten sind aber verhältnismäßig umfangreich.
Die Version 18.04 ist die erste LTS-Variante von Budgie, da man erst seit Version 17.04 ein anerkanntes Derivat ist.
Fazit
Bei allen Derivaten hat sich was getan, aber der Fokus liegt durchweg auf Produktpflege. Bei einem kompletten Test aller Derivate ist ziemlich auffällig, dass die Forkerei der Open Source Welt zu Redundanzen führt. Es ist aus Anwendersicht überhaupt nicht klar warum es Xfce und MATE braucht. Beide sind konservativ, basieren auf GTK und haben ähnliche Anforderungen an die Hardware. Wobei nicht jede Neuentwicklung eines Desktops unsinnig sein muss, wie Budgie schön zeigt.
Hier wird sich durch grundlegende Änderungen wie z. B. Wayland in Zukunft die Spreu vom Weizen trennen. Bei einigen Projekten ist es enorm zweifelhaft, dass sie noch einmal die Entwicklungsleistung aufbringen können um so einen Sprung zu meistern.
Ubuntu wirbt mit dem LTS-Status. Hier ist aber auch viel Marketing und Schein. Erfahrungsgemäß sind die Community-Derivate mit der Produktpflege überfordert und man kann schon froh sein, wenn die schlimmsten Sicherheitslücken in den nächsten drei Jahren geschlossen werden.
Umso wichtiger ist daher, dass die Qualität bereits bei der Veröffentlichung stimmt, da hier im Nachhinein meistens nicht mehr viel passiert. Zum Glück trifft das für die meisten Derivate zu.