Das Internet war früher nur ein kleiner Teil unseres Lebens in dem wir uns weitestgehend anonym bewegen konnten. Heute ist das Internet und die dort angebotenen Dienste Teil unserer Identität. Es gibt keine Trennung zwischen einem digitalen und einem analogen Ich, sondern beide sind untrennbar miteinander verwoben. Immer mehr ehedem analoge Dienste wandern in den digitalen Raum und machen das digitale Ich immer bedeutsamer.
Die Frage, ob die digitale Identität besonderen Schutz benötigt, ist nicht nur berechtigt, sondern auch dringend notwendig. Die digitale Welt ist längst zu einem zentralen Bestandteil unseres Lebens geworden, und sie stellt uns vor ganz neue Herausforderungen, die im analogen Raum nicht existieren.
Im analogen Leben können wir uns relativ unbemerkt bewegen. Wenn wir im Geschäft einkaufen, können wir dies ohne Ausweis, ohne Registrierung und ohne Nachverfolgung tun. Wir können mit Bargeld bezahlen, was uns praktisch anonym macht. Der Verkäufer weiß nicht, was wir zuvor gekauft haben, in welchem anderen Geschäft wir einkauften oder ob wir dort vielleicht denselben Artikel wie in seinem Laden gekauft haben. Der Schutz der persönlichen Identität ist hier durch die natürliche Anonymität der physischen Welt gegeben. Selbst Fehler bleiben im analogen Raum oft ohne langfristige Folgen. Wenn wir zum Beispiel ein Verkehrsschild übersehen und bei einem Verstoß gegen das Überholverbot nicht unmittelbar erwischt werden, kann dies in Vergessenheit geraten – es bleibt keine digitale Spur, die uns später noch verfolgt.
Ganz anders im digitalen Raum. Jeder Klick, jede Interaktion hinterlässt eine Datenspur, die weit über das hinausgeht, was wir uns oft bewusst machen. Online-Dienste verlangen von uns häufig eine Registrierung, bei der sie persönliche Informationen wie Name, Adresse und Geburtsdatum abfragen. Diese Daten werden miteinander verknüpft und erzeugen ein immer detaillierteres Bild von uns. Wir werden zu einer gläsernen Person. Die Folge: Unsere digitale Identität ist kaum geschützt, und der Diebstahl dieser Daten ist ebenso leicht wie gefährlich. Wer sich in der digitalen Welt bewegt, setzt sich einer Vielzahl von Bedrohungen aus, die im analogen Leben nicht existieren.
Ein häufiges Argument lautet: „Ich habe doch nichts zu verbergen.“ Dies ist ein nachvollziehbarer Gedanke, vor allem für Menschen, die keine illegalen Aktivitäten im Netz ausführen. Doch der Schutz der Privatsphäre ist mehr als nur die Vermeidung illegaler Aktivitäten. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung. Nur weil etwas nicht illegal ist, bedeutet das nicht, dass wir es mit der ganzen Welt teilen möchten. Ein einfaches Testkriterium hilft hier weiter: Würde man die Information, die man digital preisgibt, auch an das schwarze Brett der eigenen Firma heften? Die meisten würden diese Frage mit „Nein“ beantworten, und genau das zeigt, dass es private Informationen gibt, die nicht für die Allgemeinheit bestimmt sind.
Beispielsweise geht es niemanden etwas an, was wir in einem Online-Shop kaufen oder welche Medikamente wir in der Apotheke besorgen. Unsere Bewegungsdaten und der Zeitpunkt unserer Reisen sind ebenfalls sehr private Informationen. Es geht auch niemanden etwas an, wie oft wir unser Auto nutzen oder mit welchem Transportmittel wir zur Arbeit fahren. Diese Metadaten sind wertvoll für Unternehmen und sogar für den Staat, aber sie sagen weit mehr über uns aus, als wir oft ahnen. Wenn wir diese Daten ungeschützt lassen, riskieren wir nicht nur die Verletzung unserer Privatsphäre, sondern auch die Gefahr von Profilbildungen, die möglicherweise zu falschen Schlussfolgerungen führen. So kann etwa der Zeitpunkt und die Häufigkeit unserer Fahrten dazu genutzt werden, unser Verhalten zu analysieren und ungewollte Schlüsse über unsere Lebensgewohnheiten zu ziehen. Und das geht nur denjenigen etwas an, die wir wirklich in unser Leben lassen möchten.
Ein weiteres Problem ist die schiere Menge an Daten, die heute über uns gesammelt wird. Unsere Smartphones, unsere vernetzten Fahrzeuge, die Geräte, die wir für die tägliche Arbeit und Kommunikation nutzen – all diese Geräte sammeln kontinuierlich Daten. Der digitale Raum ist dabei nicht nur ein Speicher, sondern auch ein Marktplatz für diese Daten. Sie werden von großen IT-Unternehmen und auch staatlichen Stellen gespeichert, verarbeitet und oft auch weiterverkauft. Die Daten, die wir jeden Tag produzieren, gehören nicht uns, sondern den Unternehmen, die sie sammeln. Das betrifft alles von unseren E-Mails über unsere Bankgeschäfte bis hin zu den Daten, die wir über unsere Nutzung von Smartphones oder vernetzten Geräten hinterlassen. Hier stellt sich die Frage: Warum besitzen wir nicht die Daten, die wir selbst erzeugen? Warum müssen wir unsere persönliche Privatsphäre einer Handvoll globaler Akteure überlassen, die nicht nur Daten speichern, sondern auch damit handeln?
Das Problem wird noch komplexer durch die Metadaten, die aus unseren digitalen Interaktionen entstehen. Diese können ohne weitere Kontextinformationen aufschlussreiche Rückschlüsse über unser Verhalten zulassen. Wer mit wem, wann und wie häufig kommuniziert, lässt sich oft bis ins kleinste Detail zurückverfolgen. Diese Daten werden nicht nur von Unternehmen genutzt, um unser Verhalten zu analysieren und Produkte gezielt anzubieten, sondern auch von Staaten für Überwachungszwecke. Und während Verschlüsselung die Inhalte unserer Kommunikation relativ sicher machen kann, bleiben die Metadaten größtenteils ungeschützt. Wer mit wem spricht, wann er spricht und wie häufig – all das ist nicht nur für den Kommunikationsinhalt entscheidend, sondern auch für die Person selbst. Diese Informationen sind wie digitale Fingerabdrücke, die viel mehr über uns verraten, als wir uns bewusst sind.
Ein weiteres Problem ist, dass wir oft nicht einmal wissen, wer alles Zugriff auf unsere Daten hat. In vielen Fällen werden Daten von großen, global agierenden Unternehmen gesammelt, die weit außerhalb unserer Kontrolle liegen. Diese Unternehmen sitzen oft im Ausland, wo der Datenschutz nicht in gleicher Weise geschützt wird wie in der EU oder anderen Regionen mit strengen Datenschutzgesetzen. So bleibt die Frage, ob diese Unternehmen sich an bestehende Gesetze halten und unsere Daten tatsächlich so schützen, wie es erforderlich wäre, oft unbeantwortet.
Viele Menschen reagieren auf diese Bedrohung mit einer pauschalen Ablehnung der Digitalisierung. Die Haltung „Brauch ich nicht, will ich nicht“ ist weit verbreitet, vor allem in Deutschland, wo viele die Digitalisierung als Bedrohung empfinden und als etwas, das lediglich Risiken mit sich bringt. Doch diese Haltung führt in eine Sackgasse. Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, sie ist ein globaler Prozess. Wer sich nicht aktiv daran beteiligt, wird nur noch das fertige Produkt übernehmen und kann wenig Einfluss auf seine eigene digitale Zukunft nehmen. Wer nicht mitgestaltet, wird von anderen überrollt – das zeigt sich immer wieder bei Themen wie Künstlicher Intelligenz oder den US-amerikanischen Monopolen im Bereich der digitalen Kommunikation.
Es ist wichtig, dass wir die Digitalisierung nicht nur kritisch betrachten, sondern auch mitgestalten. Denn ohne eine klare und wirksame Regulierung des digitalen Raums riskieren wir, dass die Rechte der Individuen im Netz zunehmend eingeschränkt werden. Der Schutz unserer Daten und die Wahrung unserer digitalen Identität ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit für die Zukunft. Wer sich nicht aktiv für den Schutz der eigenen Daten und für die Gestaltung einer sicheren digitalen Welt einsetzt, wird irgendwann nur noch Konsument in einer Welt sein, die von wenigen großen Akteuren bestimmt wird.
Die digitale Identität muss einen besonderen Schutz genießen, weil wir uns immer stärker in einem Raum bewegen, in dem alles, was wir tun, in irgendeiner Form gespeichert und analysiert wird. Dieser Raum wird nicht nur von Unternehmen und dem Staat genutzt, sondern auch von Dritten, die möglicherweise gar nicht in unser Leben eingreifen sollten. Datenschutz ist also nicht nur eine Frage der Sicherheit, sondern auch der Freiheit. Um uns in dieser digitalen Welt selbstbestimmt bewegen zu können, müssen wir sicherstellen, dass wir nicht nur die Kontrolle über unsere Daten haben, sondern auch, wie und von wem sie genutzt werden. Nur so können wir verhindern, dass unsere digitale Identität zu einer Ware wird, die jeder kaufen und verkaufen kann.