Sailfish OS auf dem Nexus 4 ausprobiert

Android ist zwar ein Open Source Projekt, aber dennoch weitestgehend an Google gebunden. Zwar lässt es sich mit einigen Handgriffen “entgoogeln”, aber dabei verzichtet man nicht nur auf den Playstore, sondern auch auf einige immanent wichtige Funktionen. Beispielsweise setzen viele Apps die Play Services für die Ortung voraus, selbst wenn GPS ordnungsgemäß funktioniert. Mittelfristig fokussiert sich Google zudem auf seine proprietären Apps und das AOSP Projekt kann sich um den Rest kümmern.

Es lohnt sich deshalb durchaus mal die Alternativen auf dem Markt zu betrachten. Neben dem Open-Source Gedanken ist eine Emanzipation von Google aus Datenschutzgründen immer wünschenswert. Zumal sich meiner Meinung nach Google Now und die Play Services zunehmend wie ein Virus in das Android-System fressen. Neben den “großen” proprietären Konkurrenten iOS, Windows Phone und Blackberry OS, sind dies primär Firefox OS und Sailfish OS.

Letzteres wird vom finnischen Unternehmen Jolla entwickelt, das von ehemaligen Nokia Mitarbeitern gegründet wurde. Diese führen die Entwicklung fort, die man mit dem N9 und MeeGo bei Nokia begann, bevor man die Kooperation mit Microsoft einging. Sailfish OS ist deshalb im Wesentlichen eine Kombination aus Mer und einer eigenen Oberfläche von Jolla. Letztere ist zur Zeit proprietär, weshalb hier Android eigentlich noch die Nase vorn hat. Immerhin kann das AOSP ein vollständig freies Android ausliefern.

Im Gegensatz zu Android ist Sailfish OS allerdings viel näher dran, am Linux-Ökosystem. Man setzt beispielsweise auf Wayland und Qt. Die große Nähe sieht man, wenn man Sailfish OS-Apps im RPM Format serviert bekommt. Das freut einen als Linux-Anwender natürlich immer, weil dadurch vieles vertraut wirkt.

Installation auf dem Nexus 4

Überzeugte Unterstützer von Jolla können sich das Betriebssystem natürlich mit dem hauseigenen Smartphone für ca. 350€ bestellen. Für den ersten Test ist das natürlich etwas überdimensioniert, zumal man die Geräte in kaum einem Geschäft ausprobieren kann. Zum Glück versorgt die eifrige Entwicklercommunity auch die Besitzer einiger Android-Modelle mit angepassten ROMs. Besitzer eines Nexus 4 finden die entsprechende Anleitung hier.

Die Installation ist eigentlich ein Kinderspiel, sofern man mit Fastboot und ADB umgehen kann. Die Installation von Android 4.2 kann man sich sparen, wichtig ist nur, dass man das entsprechende Baseband flasht, da man ansonsten mit Sailfish OS kein WLAN hat. Nach einem vollständigen Wipe-Vorgang installiert man in der bevorzugten Recovery zuerst Cyanogenmod 10.1.3 und danach (ohne Neustart zwischendurch) Sailfish OS. Letzteres nimmt ein wenig Zeit in Anspruch.

Sailfish OS: Einfach anders

Nach einem verhältnismäßig flotten Start begrüßt einen der Einrichtungsdialog von Sailfish OS. Die Schriftart kommt einem von Windows Phone bekannt vor, ansonsten macht Sailfish OS alles anders als die Konkurrenz. Wie gut, dass nach der Einrichtung sofort ein kurzes Tutorial die wichtigsten Wischgesten vorstellt. Sailfish OS führt einem sehr deutlich vor, wie wenig andere mobile Betriebssysteme von den Möglichkeiten eines Touchscreens Gebrauch machen. Bei iOS, Android und Konsorten hat der Finger-Tipp faktisch nur den Mauszeiger ersetzt. Sailfish OS benötigt keine Hardwaretasten oder die Imitation selbiger, wie sie bei Android seit dem Galaxy Nexus verbreitet ist. Man navigiert mit Wischgesten durch das System.

Das App-Angebot ist überschaubar, aber das war bei einem derart jungen System zu erwarten. Neben den hauseigenen Apps von Jolla gibt es kaum originale Apps für Whatsapp, Facebook & Co. Allerdings hat die fleissige Community viele Klone erstellt, welche die benötigten Funktionen nachliefern. Meiner Meinung nach bewahrheitet sich mal wieder, dass der Appstore-Vergleich zwischen Google und Apple mit ihren hundertausenden von Apps nur Augenwischerei ist. Es kommt letztlich auf ~20 Apps an, die verfügbar sein müssen.

Konten für die wichtigsten Anbieter lassen sich erstellen und auch CalDAV wird unterstützt. Mails und Kalenderverwaltung sollten somit kein Hindernis darstellen.

Die Systemeinstellungen sind ein wenig mager, aber ausreichend für die Individualisierung.

Allerdings setzt das ganze System auf einen leicht transparenten Look, der eingefärbt wird in eine anfangs auszuwählende Lieblingsfarbe. Das erinnert ein wenig an das kommende MacOSX Yosemite, wenngleich Sailfish OS natürlich deutlich älter ist. Mir persönlich sagt das überhaupt nicht zu, da ein unruhiges Gefühl auf dem Display entsteht und man sich schlecht auf den Text fokussieren kann. Für ein paar Screenshots muss ich auf ein anderes Blog verweisen, da es mir nicht gelungen ist Screenshots zu machen und diese auf meinen PC zu transportieren.

Das verweist aber auf ein anderes Problem. Obwohl unter der Haube Mer / Linux werkelt, ist die Zusammenarbeit mit einem Linuxsystem auf dem Desktop sehr dürftig. Die Übertragung von Dateien via USB-Verbindung istzur Zeit nicht möglich, einzig der Zugriff via SSH ermöglicht einen Datentransfer. Eingefleischte Systemadministratoren mögen letzteres als einzigartigen Vorteil sehen, ich bin da eher der 08/15 Anwender, der die Vorzüge des MTP Protokolls unter Android preist.

Neuer Spieler auf dem Markt?

Mein erster Eindruck war deutlich negativer als erwartet. Jollas Sailfish OS war für mich eine Hoffnung auf dem mobilen Markt, der zunehmend von proprietären oder quasi-proprietären Systemen beherrscht wird, aber so wird das meiner Meinung nach nichts.

Ich bin kein sonderlich festgefahrener Nutzer, sondern habe in den letzten Jahren mit Blackberry OS 7, iOS, Android 2.x, Windows Phone 8 und nun Android 4.4 gearbeitet und konnte mich mit allen arrangieren. Sailfish OS blieb für mich auch nach einigen Tagen ein Fremdkörper. Es fehlt eine optisch klare Struktur in der Oberfläche, jenseits des verschwommenen Gesamtendrucks, den man als Markenzeichen sehen kann. Zudem blieb mir oft schleierhaft wohin ich gerade wischen muss um das gewünschte Ergebnis zu erhalten.

Vorerst bleibt also nur Google so weit wie möglich mit Custom Roms und abgespeckten GApps aus dem eigenen Android System herauszuhalten.

Cruiz
Cruizhttps://curius.de
Moin, meine Name ist Gerrit und ich betreibe diesen Blog seit 2014. Der Schutz der digitalen Identität, die einen immer größeren Raum unseres Ichs einnimmt ist mir ein Herzensanliegen, das ich versuche tagtäglich im Spannungsfeld digitaler Teilhabe und Sicherheit umzusetzen. Die Tipps, Anleitungen, Kommentare und Gedanken hier entspringen den alltäglichen Erfahrungen.

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